Gerd Frank: Der Fall der Familie Bender (USA, 1872–1873)

Kurz nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg siedelten die USA den Indianerstamm der Osagen von Labette County in Kansas in die sogenannten „neuen Indianischen Territorien“ um. Hart arbeitende Männer und Frauen wollten sich in diesem Gebiet eine neue Heimat aufbauen. Um das Jahr 1870 ließen sich unter anderem fünf Familien, die den Spiritisten nahestanden, nördlich und östlich der Gemeinde Cherryvale nieder und bearbeiteten das Land. Unter ihnen war eine Familie namens Bender. Es ist nicht belegt, ob sie tatsächlich so hieß. Vermutungen zufolge handelte es sich um deutsche Einwanderer. Hierfür sprach, daß der alte Bender, der sich John nannte, nur sehr schlecht Englisch sprach. Er muß ein Mann von furchteinflößender Kraft gewesen sein, der mit ruppiger, kehliger Stimme sprach, die kaum zu verstehen war. Seine Frau Kate wurde ähnlich geschildert, zudem soll sie ungewöhnlich brutal gewesen sein, weshalb man sie allgemein nur als „Weibsteufel“ bezeichnete. Der 27jährige Sohn John Jr. war als mürrisch und abweisend bekannt, Tochter Katie soll ziemlich schön gewesen sein. Sie bildete sich ein, ein Medium zu sein, und behauptete auf Karten, die sie verschickte, Taube und Blinde heilen zu können.
Die Benders waren vermutlich aus den Wäldern am Osage Trail gekommen und hatten sich in der Nähe der Ortschaften Cherryvale und Independence, im Labette County im Südosten des Bundesstaates Kansas, niedergelassen. Schon relativ bald nach ihrer Ankunft verschwanden aus der Gegend binnen zwei Jahren immer wieder wohlhabende Reisende. So war im Mai 1871 ein gewisser Jones in Drum Creek mit zertrümmertem Schädel und durchschnittener Kehle aufgefunden worden. Im Winter desselben Jahres fand man zwei Unbekannte in der Prärie, auch ihre Schädel waren zertrümmert und die Kehlen durchschnitten worden. Die Aufklärung der einzelnen Schicksale brachte später etwas Schreckliches – mit heutigem Wortlaut formuliert: eine Horrorstory – ans Licht.
Die deutsche Einwandererfamilie wurde zunächst von niemandem verdächtigt, bis eines Tages Getuschel von Besuchern einsetzte, denen Blutflecken in der armselig aussehenden Hütte aufgefallen waren. Andere berichteten, sie hätten den Alten hinter einem Vorhang beobachtet, wie dieser mit einem riesigen Vorschlaghammer hantierte. Die Angelegenheit wurde anfangs nicht näher untersucht.
Eines Tages verschwand auch William H. York, ein ortsansässiger Arzt. Dessen Bruder Ed, der als Offizier in Fort Scott stationiert war, mobilisierte umgehend ein Polizeiaufgebot, nachdem er zwei Reisende getroffen hatte, die während ihres Aufenthaltes im Haus der Benders ebenfalls auf Merkwürdigkeiten gestoßen waren. Sie hatten die Familie letztlich mit gezogenen Revolvern verlassen. Die Suche führte den Trupp schließlich zu den Benders.

Das Bender-Haus (eigentlich nur eine geräumige Hütte), in dem die Opfer ermordet wurden.

Für Bruder Ed stand fest, auf der richtigen Spur zu sein. Unter einer Schlafstelle konnte ein Medaillon sichergestellt werden, in dessen Innern sich das Konterfei von William Yorks Gattin und Tochter befand. Katie gab nach längerer Befragung zu, daß der Arzt tatsächlich bei ihnen gewesen sei. Sie behauptete jedoch, daß er wieder weggeritten sei, nachdem er sein Pferd an der Tränke versorgt hatte. Die Polizisten schenkten dieser Version keinen Glauben, gingen und kamen kurz darauf wieder, um die Hütte und die Umgebung sorgfältig zu untersuchen. Dabei entdeckten sie eine Falltür mit Blutspuren, welche direkt in den Garten und schließlich zu elf Gräbern führte. Gefunden wurden darin die Überreste von neun Männern – darunter die des Arztes –, von einer jungen Frau und einem kleinen Mädchen. Die Schädel der Toten waren zertrümmert, überdies hatte man ihnen die Kehlen durchschnitten. Es sah aus, als seien sie Ritualmorden zum Opfer gefallen.
Nachforschungen ergaben, daß die Familie in dem Blockhaus, das aus nur einem Raum bestand, ein Gasthaus und einen Krämerladen betrieben hatte. Sobald ein Kunde – egal, ob Reisender oder Ortsansässiger – vorbeikam, um einzukaufen, und dabei als geeignetes Opfer erschien, flirtete die schöne Katie mit ihm und überredete ihn, zum Essen zu bleiben. Dabei setzte man den Gast immer mit dem Rücken zu einem Vorhang, der den Raum abteilte. Hinter diesem lauerte schon der alte oder junge Bender, um den Gast während der Mahlzeit mit einem Schmiedehammer zu erschlagen.

Zunächst wurde in der Bevölkerung verbreitet, daß die Familie bei der erneuten Ankunft der Polizei spurlos verschwunden gewesen sei. Dann aber meldeten sich immer wieder Leute, die behaupteten, den Benders an den unterschiedlichsten Orten begegnet zu sein. Ein Bahnbediensteter aus Thayer sagte zum Beispiel aus, daß die Familie (die er detailliert beschrieb) eben dort ausgestiegen sei und Karten nach Humboldt gelöst habe. Von dort hätte sie dann entweder in den Süden, durch indianisches Territorium, oder aber nach Texas ziehen können (was erheblich wahrscheinlicher gewesen wäre). Sie hätten aber ebenso den Weg über Kansas City nach Norden wählen können.
Schließlich ging man lange davon aus, daß John Bender Sr. eigentlich John Flickinger geheißen und 1884 am Michigan-See Selbstmord begangen habe. Seine Frau soll eigentlich Almira Monroe (gelegentlich auch Almira Griffith) und Katie eines ihrer insgesamt zwölf Kinder gewesen sein. Hinter John Bender Jr. Glaubte man John Gebhardt zu erkennen, vermutlich Katies Liebhaber. Aus Ratlosigkeit über den Verbleib der Angehörigen der Bender-Familie wurde sogar ein Steckbrief erlassen. Die Fahndung blieb jahrelang ohne Erfolg. (…) Leseprobe aus Totmacher 7