Gerd Frank: DER MEXIKANISCHE RIPPER – Der Fall Francisco Guerrero Pérez (1880-1908)

Francisco Guerrero Pérez, genannt „El Chalequero“ (Der Westenträger), gilt als erster Serienmörder Mexikos, obwohl dies eigentlich Felipe Espinosa gewesen ist. Er hat in Mexiko-Stadt zwischen 1880 und 1888 20 Prostituierte ermordet, das Verbrechen im Jahre 1908 nicht mitgerechnet, bei dem es sich um eine alte Frau gehandelt hat. Weil seine Untaten etwa zeitgleich zu denen Jack the Rippers in London begangen worden sind, wurde er gelegentlich auch als ‚Ripper Mexicano‘ (‚Mexikanischer Ripper‘), ‚Barba Azul de Mexico‘ (‚Blaubart Mexikos‘) oder ‚Degollador del Río Consulado‘ (‚Halsaufschlitzer vom Consulado-Fluß‘) bezeichnet.  Leseprobe aus Totmacher 6

Guerrero liebte ausgefallene Kleidung, legte aber Wert auf elegantes Aussehen. Den Beinamen ‚El Chalequero‘ (Der Westenträger) soll er einerseits bekommen haben, weil er diese Kleidungsstücke ganz offensichtlich bevorzugte, andererseits aber auch nach dem spanischen Ausdruck „actuar a chaleco“, was so viel wie „sich etwas mit Gewalt nehmen“ bedeutet (etwa durch Vergewaltigung). (…) Frauen dienten ihm in erster Linie zur sexuellen Befriedigung. Seine Morde waren überdurchschnittlich grausam, sie zeugten von Haß und Frauenfeindlichkeit. Wenn er seine Opfer vergewaltigte, dann tat er dies, um Überlegenheit und Macht zu demonstrieren. Mit Ausnahme einer alten Frau, die er im Jahre 1908 ermordete, hatte es sich bei Guerreros Opfern ausnahmslos um Prostituierte gehandelt. Die psychiatrischen Fachgutachter vermuteten, daß er es auf jene Zielgruppe vor allem deshalb abgesehen hatte, weil diese Frauen für ihn am verwundbarsten waren. Guerrero war der Ansicht, daß Frauen ihren Ehemännern gegenüber absolut treu zu sein hatten. Brachen sie die Ehe, so verdienten sie den Tod.
Prostituierte verdienten aus diesem Grund besonders den Tod, denn sie waren ja keinem Mann gegenüber treu. Hieraus ergibt sich klar, daß seine Persönlichkeitsstörung und Frauenfeindlichkeit in erster Linie auf die mütterliche Zurückweisung während seiner Kindheit zurückzuführen waren, was sicher einen Ödipuskomplex2 hervorgerufen haben dürfte. Höchstwahrscheinlich hatte er überhaupt kein ‚Vaterbild‘, falls aber doch, dann war es vorwiegend gewaltgeprägt – Frauen gegenüber. Seine Opfer dürften ziemlich exakt seinem ‚Mutterbild‘ entsprochen haben.
Ausgehend von den Theorien Cesare Lombrosos (1835-1909)3 versuchten sich die polizeilichen Ermittler ein Bild von dem grausamen Serienmörder zu machen. Demnach mußte es sich bei ihm einen „geborenen Verbrecher“ handeln, einen dekadenten Menschen von niedriger sozialer Herkunft, der Analphabet war und schlechte Manieren hatte. Seine Intelligenz mußte unterdurchschnittlich sein, möglicherweise war er dunkelhäutig, also eventuell Mestize oder indianischer Abstammung und rein äußerlich affenähnlich.
(…)
Die Mehrzahl der Opfer konnte nicht identifiziert werden. Nachstehend erfolgt eine Auflistung derjenigen Frauen, deren Ermordung auf sein Konto ging: Candelaria Mendoza, Francisca Rivero, María de Jesús González, Margarita N. (Familienname konnte nicht ermittelt werden), María Guadalupe Villagran, Josefina Rodríguez, María Muñoz, Murcia Gallardo und Antonia N. (Familienname konnte nicht ermittelt werden).
Die meisten Leichen wurden aus dem Consulado-Fluß gefischt. Am 13. Februar 1888 wurde Francisco Guerrero dann von Francisco Chavez festgenommen, kurz danach zeigte ihn auch eine Frau namens Emilia an, die ihn der Vergewaltigung und des versuchten Mordes bezichtigte. Guerrero hatte sie für tot gehalten; sie hatte aber die Attacke schwerverletzt überlebt.
Die Nachricht von der Festnahme des unheimlichen Mörders bestimmte fortan den Inhalt der meisten Tageszeitungen. Am Ende des Gerichtsverfahrens, das alsbald angesetzt worden war, konnte Guerrero allerdings aufgrund mangelnder Beweise lediglich wegen des Mordes an Murcia Gallardo sowie des Mordversuchs an ‚Emilia‘ verurteilt werden. Zwar wurde zunächst die Todesstrafe verhängt, doch Präsident Porfirio Diaz begnadigte ihn und erwirkte stattdessen eine 20jährige Freiheitsstrafe, die Guerrero im Gefängnis von San Juan de Ulúa verbüßen sollte. Dann wurde er im Jahre 1904 durch ein Versehen der Justiz frühzeitig freigelassen.
Nach seiner Entlassung half er in der Protestantischen Kirche von San José de la Gracia mit, wobei er als Aufpasser oder als Wandbildaufkleber arbeitete. Seine Töchter, die Prostituierte geworden waren, lebten bei ihm. Bemerkenswert ist, daß er während seiner Haft einmal den Gefängnisdirektor in einem Brief gebeten hatte, daß seine Töchter ihm eine neue Hose bringen dürften, „was er seinem Äußeren einfach schuldig“ sei.
Ein paar Jahre später, nämlich am 13. Juni 1908, wurde Francisco Guerrero ein zweites Mal verhaftet, diesmal wegen der Ermordung einer alten Frau. Guerrero war in der Nähe des Tatortes – mit noch blutigen Händen – festgenommen worden. Auch dieser Frau war der Hals aufgeschlitzt worden. Diesmal hatte ein Junge namens José Inés Rodríguez die Vergewaltigung und Ermordung der alten Frau mit angesehen. Er war Hirte und hatte sein Vieh in der Nähe des Consulado-Flusses gehütet, als er entsetzliche Schreie hörte. Er hatte sich dem Schauplatz des Verbrechens genähert und sich dann vor lauter Angst in einem Gebüsch versteckt. So war er unfreiwillig Zeuge des Mordes geworden.
Die Erklärung für diesen neuerlichen Mord klang äußerst verworren. Guerrero behauptete, unüberhörbare Stimmen in seinem Kopf hätten ihm befohlen, „sich wieder ein Vögelchen vorzunehmen und zu erlösen“. So sei er schließlich entschlossen gewesen, die erstbeste Frau zu töten, die ihm begegnete – und dies war eben jene alte, von der man nur den Vornamen „Antonia“ wußte.
Erneut wurde die Todesstrafe über Guerrero verhängt und diesmal sollte sie auch im Zuchthaus von Lecumberri vollstreckt werden. Doch Francisco Guerrero starb vier Monate vorher im Juárez-Krankenhaus von Mexiko-Stadt im Alter von 70 Jahren. (…)