Gerd Frank: DER WÜRGER VON TACUBA – Der Fall Gregorio (Goyo) Cárdenas Hernández (1942)

Gregorio Cárdenas Hernández wurde im Jahr 1915 in Mexiko-Stadt als jüngstes von zehn Kindern geboren. Der Vater soll jahrelang unter heftigen Migräneanfällen gelitten haben. Er trieb zwar nur etwa zwei Wochen lang sein Unwesen, doch das genügte, um ihn zu einem der berüchtigsten Serienmörder Mexikos aufsteigen zu lassen. Leseprobe aus Totmacher 6 

1935, er war gerade 20 Jahre alt geworden, begann er, Chemie zu studieren. Der junge Mann war schlank, eher mager, galt als schüchtern und trug eine starke Brille. Cárdenas erhielt ein Stipendium, das ihm ermöglichte, in der Calle Mar del Norte, Nr. 20, im Stadtteil Tacuba, ein Haus zu mieten. Tacuba liegt in der Nähe des historischen Zentrums von Mexiko-Stadt.

Dort beging er in der Nacht des 15. August 1942 seinen ersten Mord. (…)

Acht Tage später, am Morgen des 23. August 1942, ging ‚Goyo‘, wie Gregorio im Allgemeinen genannt wurde, erneut auf die Jagd. Und diesmal war sein Opfer noch jünger: Es handelte sich um die 14jährige Raquel Martínez de Leon.  (…)

Die Abstände zwischen den Morden verkürzten sich. Schon sechs Tage später, in der Nacht des 29. August, suchte er wieder nach weiblicher Gesellschaft. Er traf auf Rosa Reyes Quiroz, doch die wollte zunächst nichts von ihm wissen… (…)

Vier Tage danach, am 2. September 1942, ereignete sich das letzte Verbrechen. (…)
Am 7. September ließ Vicenta Hernández, ‚Goyos‘ Mutter, ihren Sohn auf seinen ausdrücklichen Wunsch in die Psychiatrische Klinik des Dr. Oneto Barenque, die sich in Tacubaya befand, einweisen. Er selbst erklärte dort explizit, den Verstand verloren zu haben und der Arzt stufte ihn relativ schnell als „psychotisch und hochgradig neurotisch“ ein. Dr. Quiroz Cuarón stellte in einer endgültigen Diagnose dann fest, daß bei Cárdenas eine Entwicklungsneurose sowie eine Organneurose introvertierter Art mit homosexueller Tendenz, außerdem ein ausgeprägter Narzißmus sowie eine sadistisch-anal-ausgerichtete Erotik vorlägen (…)
Der Vernehmungsbeamte intensivierte daraufhin das Verhör und schließlich brach Cárdenas zusammen. Er gestand, das Mädchen ermordet und im Garten seines Hauses vergraben zu haben. Inzwischen lagen auch schon Aussagen einiger Nachbarn vor, die gelegentlich merkwürdige Vorgänge beobachtet hatten und denen die mysteriösen Grabungen aufgefallen waren. All dies genügte, um das in Verruf geratene Haus – im Beisein Cárdenas‘ – sorgfältig zu durchsuchen. Dabei erblickten die Polizisten in der Nähe eines Schlammlochs im Garten zunächst einen merkwürdigen Schwarm von Insekten, der zur sofortigen Entdeckung der Leiche von Graciela Arias Àvalos führen sollte. Es handelte sich nämlich um eine Art von Käfern, die den Tod begleiten: Sie sind groß, grün und fliegen nur ganz langsam. Totengräber nennt man sie. Einer der Beamten ergriff einen Besenstil und stocherte in der weichen und feuchten Erde herum. Er hatte den Eindruck, daß da erst vor kurzem umgegraben worden war. Obwohl er schon viele schreckliche Dinge gesehen hatte, spürte er plötzlich, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief: Aus dem Erdreich ragten die Zehen eines Fußes. Nun gruben ein paar Männer gleichzeitig weiter; sie förderten eine weibliche Leiche frei, die notdürftig in ein Laken gehüllt war: Es war die verschwundene Studentin. Und dann auch noch die Leichen der anderen drei Mordopfer.

Im Arbeitszimmer des Mörders wurde ein Tagebuch gefunden (…)

Am 25. Dezember 1947 flüchtete Cárdenas mit einem anderen Häftling und versuchte, sich nach Oaxaca durchzuschlagen. 20 Tage später wurde er wieder festgenommen. Dabei behauptete er, daß er nicht geflohen sei, sondern lediglich Urlaub habe machen wollen.

Es war am 22. Dezember 1948, als die Behörden beschlossen, ihn erneut nach Lecumberri zu verlegen. Dort lernte Cárdenas das Strafgesetzbuch auswendig, studierte Rechtswissenschaft und wurde sogar Prozeßanwalt. In der Folge fertigte er Cartoons über von ihm erfundene Rechtsfälle an und schrieb mehrere Bücher. Die bekanntesten hießen „Celda 16“ (Zelle 16), „Pabellón de locos“ (Pavillon der Irren), „Una mente turbulenta“ (Ein unruhiger Geist) und „Adiós a Lecumberri“ (Lecumberri, auf Wiedersehen!). (…)

Im Jahre 1976 appellierte Cárdenas‘ Familie an den damaligen mexikanischen Präsidenten Luis Echeverria, den mittlerweile berühmt gewordenen Häftling zu begnadigen – mit Erfolg. ‚Der Würger von Tacuba‘ durfte am 8. September 1976 – nach 34 Jahren Haft! – tatsächlich das berüchtigte Gefängnis von Lecumberri als freier Mann verlassen. Kurze Zeit später, als Mario Moya Palencia Staatssekretär war, lud der Unionskongreß Cárdenas ins Repräsentantenhaus ein, wo man ihm Gelegenheit gab, über sein Leben zu sprechen. Anschließend gab es lebhaften Beifall seitens der Abgeordneten, die den „ersten Serienmörder Mexikos“ ihren Landsleuten als „beispielhaft“ und „als gelungenen Fall von Rehabilitation“ vorstellten.

In der Folge eröffnete Cárdenas eine Ausstellung seiner Bilder in einer Galerie von Mexiko-Stadt und erhielt überwiegend anerkennende Kritiken…

Der Schriftsteller Victor Hugo Rascón Banda inszenierte das Theaterstück „Der Würger von Tacuba“, in welchem Sergio Bustamante die Titelrolle spielte. Cárdenas war zunächst bei den Proben dabei und half dem Regisseur mehrfach bei der Korrektur von Details. Dann aber kam es zu einem Eklat. Der verurteilte Mörder verklagte nämlich den Regisseur wegen Urheberrechtsverletzung und argumentierte dabei mit dem Hinweis, daß die Rechte an der Geschichte seiner Verbrechen ausschließlich ihm allein gehörten. Seine Begründung wurde allerdings abgeschmettert.

Jahre später wurde Cárdenas‘ Leben durch Ricardo Ham und Marco Jalpa auch verfilmt, mindestens zwei weitere Filmprojekte folgten. Überdies ist der „Fall Cárdenas“ in der Juristischen Fakultät zum festen Bestandteil der Kurse in Kriminologie geworden.

Gregorio Cárdenas, der ‚Würger von Tacuba‘, ist am 2. August 1999 im Alter von 84 Jahren gestorben. (…)