Gerd Frank: DIE KINDERZERSTÜCKLERIN VON MEXIKO-STADT – Der Fall Felicitas Sánchez Aguillón (1930-1941)

 

Felicitas Sánchez Aguillón wurde im Jahre 1890 in Cerro Azul, Veracruz, geboren. Es wird vermutet, daß sie in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in der „Colonia Roma“ 1 in Mexiko-Stadt mehr als 50 Kinder getötet hat. (…) Mit Vorliebe vergiftete sie streunende Hunde und Katzen. Leseprobe aus Totmacher 6

In der Zeit um 1910 ließ die stark übergewichtige Frau sich zur qualifizierten Krankenpflegerin ausbilden und heiratete einen Mann namens Carlos Conde, der sie trotz ihrer Häßlichkeit, ihrer schlechten Manieren und ihres menschen- verachtenden Charakters abgöttisch liebte und ihr offenbar hündisch ergeben war. Das Paar bekam Zwillingsmädchen, was Felicitas schon bald veranlaßte, ihren Gatten von der Notwendigkeit zu überzeugen, die Kinder verkaufen zu müssen, „um zu überleben“. Conde willigte schließlich ein, bereute diesen Schritt aber später wieder, zumal seine Frau ihn nie über den endgültigen Verbleib der Töchter in Kenntnis setzte. Dies war dann auch der Grund, weshalb sich das Paar im Jahr 1910 trennte. Felicitas zog in die Landeshauptstadt, nach Mexiko-Stadt.

In den frühen Jahren (zwischen 1910 und 1920) wurde Felicitas Sánchez Aguillón mindestens zweimal verhaftet, weil sie versucht hatte, ein Baby zu verkaufen, jedesmal aber gleich wieder freigelassen, nachdem sie eine relativ niedrige Strafgebühr bezahlt hatte.

Dann hatte sie eine neue Geschäftsidee: Sie gab sich für illegale Abtreibungen her, welche bevorzugt von Frauen aus besseren Kreisen in Anspruch genommen wurden und nannte das neue Gebäude zynisch ‚La Quebrada‘ .

Das Geschäft des Handels mit Kleinkindern blühte weiterhin. Felicitas Sánchez Aguillón bekam von armen Frauen immer wieder Neugeborene, denen sie gegen Zahlung einer bestimmten Summe versprach, diese in Obhut reicher Leute zu geben, damit deren Zukunft gesichert sei. In Wahrheit behielt die Frau die Kinder nur ein paar Tage, wobei sie diese in Eiswasser badete, auf dem Boden schlafen ließ oder ihnen verdorbenes Essen gab, damit sie schneller das Zeitliche segneten.
Im Laufe der Zeit gingen dann immer seltsamere Dinge vor: Die Abwasserkanäle des Gebäudes waren häufig abgedeckt und gelegentlich drang übelriechender schwarzer Rauch aus der Wohnung der ‚Krankenpflegerin und Geburtshelferin‘. Das hatte folgende Ursache: Wenn es der Babyhändlerin nicht gelang, ihre ‚Ware‘ zu verkaufen, brachte sie die Babies einfach um. Zunächst erwürgte sie ihre Opfer oder verbrannte sie bei lebendigem Leib. Schließlich „schlachtete“ sie sie mit einem riesigen Küchenmesser, weshalb sie nach der Entdeckung ihrer Untaten von der Presse als ‚Kinderschlächterin von Mexiko-Stadt‘ tituliert wurde.
Die Überreste verpackte sie in Säckchen und entsorgte sie wie Müll, manche spülte sie auch durch die Toilette. Bei der Reinigung der Abflußrohre war ihr Salvador Martínez Nieves, ein Klempner, behilflich.

Am 8. April 1941 benötigte Francisco Paéz, der Besitzer eines Lebensmittel- geschäfts im ersten Stock ihres Wohngebäudes, einen Klempner und einen Maurer. Bei deren Arbeiten stießen die Handwerker auf die grausigen Überreste des blutigen Gewerbes der Frau Sánchez Aguillón: Hinter den Mauern und in der Kloake wurden wahre Unmengen verwesenden Fleisches, blutige Fetzen und Kleidungsstücke entdeckt, welche einen unerträglichen Gestank verursachten. Als man zudem in der ekelhaften Masse einen kleinen menschlichen Schädel und ein paar Kinderbeine erblickte, war allen Beteiligten klar, was da vor sich gegangen war… (…)

Bereits drei Tage später, am 11. April 1941, wurde Salvador Martinez Nieves, der Klempner, verhaftet. Er gab zu, gewußt zu haben; daß Felicitas häufig als ‚Engelmacherin‘ gearbeitet hatte; aus Angst, als Mittäter verurteilt zu werden, habe er bisher geschwiegen. Martínez Nieves gestand, hierfür entsprechend bezahlt worden zu sein. Am gleichen Tag konnten dann auch noch Felicitas Sánchez Aguillón und Roberto Sánchez Salazar, ihr Geliebter (von dem sie ebenfalls eine Tochter hatte), festgenommen werden.
Die Mörderin wurde in eine Zelle gesperrt, wo sie einen Teil der folgenden Nacht weinend verbrachte. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und wirkte extrem erschöpft, zudem einer Ohnmacht nahe. Die nächsten drei Monate wurde sie in Isolierhaft gehalten, weil die Gefahr bestand, daß sie sonst Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen könnte. In dieser Zeit schien sie sich zu einem kleinen Mädchen zurückentwickelt zu haben, denn sie weinte meistenteils, war höchst einsilbig, warf sich in Wutanfällen auf den Boden und schrie immer wieder: „Ich will hier raus, will hier raus!“ (…)

Als sich die Lage bedrohlich zuspitzte, drohte der eingeschaltete Anwalt damit, die ‚Kundenliste‘ seiner Mandantin, auf der vor allem zahlreiche Personen aus Politik und Wirtschaft zu finden waren, zu veröffentlichen, falls nicht nach maximal drei Monaten eine Freilassung erfolgen würde. Doch da waren die in der Kanalisation gefundenen menschlichen Überreste, unter denen sich der Schädel und die Beine eines etwa einjährigen Kindes befunden hatten. Merkwürdigerweise aber waren diese Beweisstücke mit einem Mal auf unerklärliche Weise verschwunden. (…)

Die Staatsanwaltschaft gab sich trotzdem noch nicht geschlagen, schließlich waren da immer noch die Zeugenaussagen des Klempners und des Geliebten. Doch unglücklicherweise trat in diesen Tagen der zuständige Richter von seinem Amt zurück, was den weiteren Verlauf des Verfahrens erheblich beeinflussen sollte: Im Juni 1941 wurde Felicitas Sánchez Aguillón wieder auf freien Fuß gesetzt.

Dennoch wußte die Frau, daß ihr Leben endgültig verpfuscht war. Sie war zur Geächteten geworden, jedermann kannte und verachtete sie. Wohl aus Verzweiflung sah sie keinen Ausweg mehr und so beging sie am 16. Juni 1941 im Hause ihres Liebhabers Selbstmord, indem sie eine Überdosis Nembutal schluckte. (…)