Im Gespräch mit Petra Klages, der Autorin des Buches „Brieffreundschaft“ mit einem Serienmörder

Frau Klages, ihr Metier ist der Serienmord bzw. genauer gesagt, die Forschung bezüglich der Ätiologie (Ursache) der „Abweichung“ und Delinquenz des Serienmordes und der Sexualdelinquenz und gesellschaftlicher Zuschreibungsprozesse.
Wie wird man zur Forscherin auf dem Gebiet des Serienmordes?
Und wie sind Sie zum Thema des Serienmordes gekommen?

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Tatsächlich liegt da ein ausgesprochen langer Weg hinter mir. Nicht nur im Zuge beruflicher Tätigkeiten kam ich immer wieder in Kontakt mit Opfern schwerster Gewalttaten, auch privat gab es im Freundeskreis Berührungspunkte wie auch über meine Tätigkeit für den Weißen Ring. Sehr häufig handelte es sich bei den Opfern um Frauen, welche sexuellen Mißbrauch und vielfache Vergewaltigungen erlebten. Die Taten wurden zum Teil von mehreren unterschiedlichen, absolut sadistischen Tätern durchgeführt.

Das Leben der Opfer schien sozusagen durchtränkt von den erlittenen und vielfältigen Mißbrauchsakten, welche ihnen widerfahren waren. Manchmal lagen die Qualen schon viele Jahre zurück und trotzdem waren die erlebten Verbrechen absolut präsent, dominierten alle Lebensbereiche und reduzierten die Lebensqualität der Opfer massiv.

Eine Freundin aus meiner Jugend wurde damals Opfer einer besonders brutalen Vergewaltigung. Ich werde – glaube ich – niemals vergessen, wie sie mit anderen Frauen, welche ihr Schicksal diesbezüglich teilten, vor Gericht stand um gegen den Vergewaltiger auszusagen.

Der Täter hatte damals 4 weitere Frauen vergewaltigt, bevor ihn die Polizei stellen konnte. Eine der Frauen hatte er unter Strom gesetzt, die nächste würgte er immer wieder, so daß sie während der Vergewaltigung mehrfach ihr Bewußtsein verlor und ihre Todesängste eine durchaus reale Berechtigung hatten. Eine andere hatte er im Vaginal- und Unterbauchbereich mit einem Werkzeug so stark verletzt, daß sie viele Stunden operiert werden mußte, um gerettet zu werden.

Natürlich schockierte mich das damals sehr, dieses Grauen. Der extreme Sadismus war mir noch nicht bekannt und so gegenwärtig, wie heute. Es ist wahrscheinlich unnötig zu erwähnen, daß ich teilweise wirklich mit den Opfern litt. Ich glaube aber, dies war der Punkt, an welchem ich mir das erste mal Gedanken darüber machte, welche Gründe es wohl geben könnte, die einen Menschen dazu motivieren oder „befähigen“, derart grausame Handlungen an anderen Lebewesen zu verüben. Diese Taten waren mir absolut unverständlich, ich war mir aber sicher, daß es für derartiges Handeln Gründe geben muß. Solche Taten „passieren nicht einfach“. Menschliches Handeln hat generell einen Ursprung, leider liegt dieser häufig im Verborgenen. Ich war weit davon entfernt, mich differenziert und detailgenau, so wie ich es heute praktiziere, mit den Motivationen, Hintergründen, der Ätiologie des Täterverhaltens und der Entwicklung zum Täter auseinanderzusetzen.

Ich arbeitete später in der Psychiatrie und mußte feststellen, daß der menschlichen Grausamkeit anderen Menschen und auch Tieren gegenüber, kaum Grenzen gesetzt sind. Ich hörte und erlebte Dinge, die mein Fassungsvermögen damals überstiegen. Beispielsweise hatte ich bis dato noch nie davon gehört, daß es Menschen gibt, welche bereits kleinste Kinder, teilweise Säuglinge, sexuell mißbrauchen.
Mir fällt konkret eine Patientin ein, welche bereits ab ihrem 2. Lebensjahr erst vom Vater, dann von ihm gemeinsam mit der Mutter mißbraucht und vergewaltigt wurde. Sie wuchs mit sexualisierter Gewalt auf, es gehörte für sie zum Alltag, zur Normalität. Sie wurde bis zu ihrem 18. Lebensjahr kontinuierlich, wöchentlich mehrfach vergewaltigt. Über die unglaublichen Praktiken möchte ich an dieser Stelle weder nachdenken, noch darüber berichten. Die Auswirkungen der Gewalt konnte ich ständig, wenn ich mit dem Opfer Kontakt hatte, sehen. Sie war damals 24 Jahre alt, der letzte erfahrene Mißbrauch also ungefähr 6 Jahre her. Sie hatte eine ausgeprägte Eßstörung, was ja bei Opfern sexueller Gewalt recht häufig auftritt, außerdem wies sie autoaggressive Tendenzen auf. Sie war mit selbst zugefügten Schnittwunden, hauptsächlich an den Armen und Beinen, übersät. Das Sitzen auf gepolsterten Stühlen oder Sesseln lehnte sie strikt ab, da es sie an den Schoß ihres Vaters erinnerte. Ungefähr gegen 17.00, dies war die Zeit, wenn ihr Vater von der Arbeit kam, rannte sie mit dem Kopf voran gegen die Wand, so lange, bis sie bewußtlos war. Dieses praktizierte sie damals schon sehr lange. Es handelte sich um ihren „Fluchtweg“ aus den Vergewaltigungssituationen, ihrer Lebenssituation. Sie „schaltete sich aus“, um nicht erleben zu müssen, was ihr angetan wird. Ohne Zweifel, es hat mich damals sehr mitgenommen, diese junge Frau kennenzulernen und zum Teil mitzuerleben, was sie auch Jahre nach den Gewaltakten, erleiden mußte. Das Trauma hatte mehr als deutliche Spuren hinterlassen.

Irgendwann gab es einen „Switch“ bzw. Wandel in meinem Leben. Ich wollte definitiv mehr erfahren über jene, die solche Grausamkeiten verüben. Ich wandte mich also gezielt den Tätern zu. Ich fing an, mich mit den Biografien, ihren Familien, der Kindheit, ihren Traumata, den Auffälligkeiten die sie meist früh aufwiesen, auseinanderzusetzen. Ich ahnte, wie erwähnt bereits früh, daß es bestimmte Ursachen geben MUSS, welche Täterverhalten wenigstens teilweise erklären – und so ist es auch.

Ich habe in den vergangenen Jahren viel über die unterschiedlichen Täter in Erfahrung bringen können und interpretiere die facettenreichen Aspekte der Täterentwicklung und des Tatverlaufs aufgrund unterschiedlicher Kriterien, welche durch meine Bücher zum Ausdruck kommen, bzw. noch kommen werden. Insbesondere natürlich durch meine Dissertation, welche sich in der Bearbeitung befindet.

In den Gesprächen und Briefen mit Seriensexualmördern und auch Pädosexuellen waren zahlreiche Parallelen vorhanden, welche darauf schließen ließen, daß bestimmte Ereignisse in den meist frühen Lebensjahren als besonders ungünstig für die weitere Entwicklung einzustufen waren. Insbesondere handelte es sich um Erfahrungen mit Gewalt, primär innerhalb der Familie.

Häufig wurden die späteren Sexualstraftäter und Mörder in ihrer Kindheit selbst zu Opfern unterschiedlicher, zum Teil auch sexualisierter Gewalt. Die späteren Täter mußten zum Teil massive sexuelle Mißbrauchsakte über sich ergehen lassen. Auch hier hinterließ das Trauma bzw. die repetetiven (sich wiederholenden) Traumatisierungen, deutliche Spuren. Allerdings andere, als bei jenen, die durch die erlittene Gewalt psychische Erkrankungen entwickelten und die Gewalt „in sich hineinfraßen“, sich selbst auf viele unterschiedliche Arten und Weisen schädigten, nicht aber anderen gegenüber Gewalt anwendeten.

Die Familien der späteren Täter konnten in der Regel als dysfunktional bezeichnet werden. Der Vater war meist abwesend. Wenn er anwesend war, war sein Agieren meist überproportional gewalttätig. Starker Alkohol- und Drogenkonsum waren häufig im Spiel und unterschiedliche andere Faktoren wirkten schlicht ungünstig auf die Entwicklung. Robert Ressler hat eine interessante und imposante Studie durchgeführt, welche die unterschiedlichen Parallelen zwischen Serienmördern deutlich macht, es handelt sich hier um das Criminal Personality Research Project des FBI.

Die Übertragbarkeit auf den deutschsprachigen Raum ist zweifelhaft, allerdings konnte ich Übereinstimmungen feststellen. Die Forschungen sollten weiterführend an unsere doch etwas anderen sozio-kulturellen Verhältnisse angeglichen bzw. ausgeweitet werden. Die wissenschaftliche Forschung bezüglich des Phänomens der Sexualserienmorde ist im deutschsprachigen Raum, wie einige andere Themen ebenfalls, stark unterrepräsentiert und ergänzungsbedürftig.

Hatten Sie schon früher, vielleicht als Jugendliche, Intentionen auf diesem Gebiet zu forschen?

Ich denke, eher nicht. Ich war und bin, ein ausgesprochen idealistischer und harmoniebedürftiger Mensch. In meiner Kindheit entwickelte ich frühzeitig ein besonders starkes Gerechtigkeitsempfinden und der Wunsch, daß es allen Lebewesen möglichst gut gehen sollte, war ausgesprochen dominant. Soweit ich mich erinnern kann, war mein erster Berufswunsch jener der „Bonbonrundlutscherin“. Ich ging davon aus, daß diese wunderbaren Köstlichkeiten unmöglich rund produziert werden könnten und daß es viele Menschen geben müßte, welche sich um diese perfekte Form bemühen. Ich wollte also eine davon sein. Gut, zu dieser Zeit war ich, wie Sie sich denken können, sehr jung.

Als Jugendliche beschäftigte ich mich eher mit Philosophie und dem politischen Geschehen. Das philosophische Interesse ist bis heute geblieben und kommt möglicherweise durch mein Forschungsgebiet zum Ausdruck. Ich bemühe mich um eine größtmögliche Objektivität, beleuchte die Dinge im Detail, auch wenn es um sadistische Tötungshandlungen geht. Ich fokussiere unterschiedliche Perspektiven und adaptiere meine Interpretation an den Menschen, auf den ich mich beziehe – den Sexualserienmörder. Wichtig war und ist mir, daß es sich um einen Menschen handelt, den ich interviewe, untersuche, mit dem ich mich auseinandersetze und beschäftige, dem ich schreibe. Von den Massenmedien werden Serienmörder häufig als Monstren stigmatisiert. Vergessen wird dabei, daß es sich immer um Menschen handelt, die mit uns aufgewachsen sind, sich neben uns entwickelt haben, die ebenfalls durch uns das geworden sind, was sie heute sind: Mörder. Selbstverständlich bin ich nicht so vermessen zu behaupten, daß wir alleine die Mörder „machen“. Allerdings trägt die Gesellschaft, häufig die Primärfamilie und das nächste soziale Umfeld eine wesentliche Verantwortung bei dieser Entwicklung. Wir sind also sozusagen am „perversen Produktionsprozeß“ – an der Entwicklung zum Gewaltverbrecher bis zum Sexualserienmörder beteiligt – auf die eine oder andere Art und Weise. Das wird häufig nicht gern gesehen, darüber redet auch niemand gerne und genau an diesem Punkt können präventive Maßnahmen beginnen.

Wie gestaltet sich eine Kontaktaufnahme mit einem Täter? Ruft man ihn
einfach an oder mailt ihm oder wie muß man sich das vorstellen?

Die Kontaktaufnahme gestaltet sich recht unterschiedlich. Ich bin durchaus schon persönlich auf Serienmörder zugegangen, habe also ohne Umwege den Kontakt hergestellt. Im Zuge meiner Forschungen ist es natürlich notwendig, bestimmte Untersuchungen durchzuführen, diese werden meist in den forensischen Kliniken oder auch Justizvollzugsanstalten durchgeführt. Innerhalb dieser Einrichtungen finden dann die Begegnungen, Interviews und Untersuchungen statt. Da die uns bekannten Serienmörder in der Regel weder ein eigenes Handy noch einen E-Mail-Account haben, sind solche Möglichkeiten der Kommunikation natürlich ausgeschlossen.

Schafft diese Gesellschaft nicht die „Monster“?

Unsere Gesellschaft ist in jedem Falle maßgeblich an der Täterentstehung beteiligt. Allerdings trägt die Gesellschaft nicht die alleinige Schuld denn es gibt keine monokausale Erklärung für das Phänomen des Verbrechens. Es existieren unterschiedliche Erklärungsansätze. Teils gute, teils schlechte, jedoch blieb bisher eine angemessene Synthese der Ansätze aus, welche das Phänomen in seiner Gesamtheit erfaßt.

Wichtig ist, daß erfahrene Gewalt, Mißhandlung u. sexueller Mißbrauch bestimmte Spuren oder auch Narben in der menschlichen Psyche hinterlassen und unbewältigte traumatische Ereignisse sich im Laufe des Lebens reproduzieren. Hier spiele ich auf die Theorie der Reinszenierung von Gewalt an. Generell handelt es sich meist um eine „Verknüpfung“ ungeeigneter, schädigender Prozesse und Faktoren für das sich entwickelnde Individuum, eine Kombination aus von außen und innen wirkenden, intrapsychischen destruktiven Aspekten und individuellen Verarbeitungsprozessen. Die Bedeutung der Familie ist in jedem Falle eine hervorgehobene. Alice Miller hat sich in ihren literarischen Werken bereits frühzeitig auf die Einflüsse der „Schwarzen Pädagogik“ und die der dysfunktionalen Familie bezogen. Sie greift diesbezüglich nicht nur Bartsch, sondern auch Hitler auf.

Es gibt bestimmte Auffälligkeiten hinsichtlich einiger Delikte, beispielsweise daß Gewaltverbrechen, insbesondere serielle Tötungen nach Kriegsereignissen zunehmen. Oder denken Sie an die Umweltkatastrophen der letzten Jahre und was darauf folgte. Die Menschen fielen zurück in Verhaltensweisen unserer sammelnden und jagenden Urahnen, sie mordeten und vergewaltigten. Fast schien es so, als hätten sie nie Anteil an unserer Zivilisation gehabt.

Eine kurze Zwischenfrage: Die Urmenschen haben gemordet und vergewaltigt?

Morde und Vergewaltigungen gehören leider zu den Grausamkeiten, die es immer gegeben hat. Wir haben diese Taten im Laufe der Zeit allerdings der Gesellschaft und unseren Lebensbedingungen angepaßt.

Der Mensch ist bezüglich dieser Formen von Gewalt keine Ausnahme, auch bei unseren Verwandten, den Primaten kann dieses beobachtet werden. Eines unterscheidet uns allerdings von ihnen: Die Art und Weise der Tat, die Planung, die Brutalität, die Grausamkeit und das Ersinnen und Umsetzen unglaublicher Perversionen. Da sind wir den Primaten „weit überlegen“. Unsere cerebralen Strukturen und Funktionen übertreffen die der Tiere, trotzdem verhalten sich diese weit sozialer.

Die Menschen haben Zivilisationen erschaffen und Dinge geleistet, zu denen andere Lebewesen nicht in der Lage sind. Trotz dieser enormen Leistungen, ist es uns nicht gelungen, bestimmte Übel zu vernichten bzw. diese sinnvoll zu kanalisieren. Ich möchte damit deutlich machen, daß wir unsere eigentliche „Überlegenheit“ nicht nutzen um etwas dagegen zu tun, d. h. wir orientieren uns am Destruktiven, lernen das Negative, konsumieren Sex and Crime, teilweise im Vormittagsprogramm und perfektionieren das Böse. Uns scheinen kaum Grenzen gesetzt zu sein, wenn es um Grausamkeiten geht. Oder besser: wir setzen uns offensichtlich keine klaren Grenzen, was das Böse betrifft – und das trotz all der Kultur und Zivilisation, der unglaublichen Leistungen, welches unser Gehirn imstande ist zu vollbringen. Herr Kirchschlager, beantwortet das Ihre Frage?
Antwort Kirchschlager: Ja, das reicht mir, wenngleich es passieren könnte, daß uns Prähistoriker widersprechen… Doch weiter mit unserem Interview.

Aber nicht nur Krieg oder Katastrophen beeinflussen unser Denken, Fühlen und Verhalten. In Zeiten gesellschaftlichen Wandels verändern sich die Kriminalität und auch die Kriminalitätsrate.

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind hier allerdings eine Besonderheit und werden auf unterschiedliche Arten und Weisen extrem durch die Gesellschaft und weltweit „gefördert“. Wobei „Förderung“ auch schlicht durch Ignoranz bestimmten Dingen gegenüber hervorgerufen werden kann. Insbesondere Amnesty International besitzt aussagefähiges Datenmaterial zu diesen Themenkomplexen und wies in unterschiedlichen Publikationen auf die globale Problematik hin: die Folterungen von Frauen, Menschenhandel, Prostitution, unterschiedliche Formen des Mißbrauchs und Mordhandlungen, gerade von staatlicher und gesellschaftlicher Ebene ermöglicht.

Wir haben weltweit und auch in Deutschland enorm hohe Zahlen von Konsumenten der Kinderpornographie. Hier werden sowohl männliche wie weibliche Kinder „vermarktet“. Es handelt sich geradezu um „blühende Wirtschaftszweige“. Der Menschenhandel, welcher i. d. R. ebenfalls mit sexueller Ausbeutung und unterschiedlichen Formen der Prostitution verbunden ist, boomt und nutzt nicht nur die Schwäche eines biologischen Geschlechts, sie mißbraucht kindliche Menschen, beutet auch jene Länder aus, die finanziell geringere Ressourcen aufweisen und begehen dort Menschenraub, wo der Staat die Gemeinschaft nicht mehr schützt und das Produkt Sicherheit ein fast ausschließliches Privileg der Reichen geworden ist.

Auch in Deutschland zieht sich der Staat immer weiter aus unterschiedlichen Bereichen, wie der Gesundheit, Bildung und mittlerweile der Sicherheit zurück. Neben den Verschlechterungen für die große Allgemeinheit im Bildungswesen und der Gesundheit, wo jene, die wenig haben, immer mehr bezahlen müssen, dominieren private Security – Unternehmen die Stadtbilder und sind zum festen Bestandteil unserer Gesellschaft geworden. Eine marginale Gruppierung zahlt hohe Summen für Bildung, Gesundheit und Sicherheit und hat eine herausgehobene Stellung im Verhältnis zur Mehrheit der Weltbevölkerung. Dieses beinhaltet natürlich gravierende und absolut weit reichende Auswirkungen auf das Geschehen, einschließlich unterschiedlichen Formen von Kriminalität. Von sozialer Gerechtigkeit sind wir zum heutigen Zeitpunkt unglaublich weit entfernt.

Nun wieder direkt zum Thema: Ich habe mich bereits zum Menschenhandel, Menschenraub, unterschiedlichen Formen der Prostitution, eingeschlossen der Kinderpornographie- und Prostitution geäußert. Interessant für „unser Thema“ ist es hier, daß Männer, welche in ihrer Kindheit sexuell mißbraucht wurden, ein deutlich erhöhtes Risiko besitzen, später zur Gewalttätigkeit zu neigen. Gegebenenfalls, also in Abhängigkeit von anderen Prozessen, werden diese Männer später zu Serienvergewaltigern, eventuell (Serien-)Mördern. Hier sitzen wir also nicht nur auf einem globalen Pulverfaß, es zeigt auch auf, daß Männer weit häufiger Opfer sexueller Gewalt geworden sind, als es uns durch unser geschlechtsrollenspezifisches Denken bewußt ist, oder das Anzeigeverhalten vermuten läßt.

Wir leben in einer konsumorientierten Welt. Die Welt wird noch härter und korrupter, gleichzeitig sind wir sozusagen auf „Konsum programmiert“, eine explosiv-destruktive Mischung. Einige wenige – so ist es wohl schon seit Menschengedenken – profitieren von der großen Mehrheit. Hier gibt es noch viele, viele Differenzierungen. Unsere weltweiten Systeme scheinen so zu funktionieren, daß bestimmte Gruppierungen, wobei wir für Gruppierungen auch Völker, Rassen, Kinder, ältere Menschen, hilfsbedürftige Menschen, schwächere Lebewesen etc. einsetzen können, simplifizierend formuliert, ausgebeutet bzw. mißbraucht werden.

Deutlich ist, daß der Reichtum marginaler, ethisch, moralisch und empathisch unterentwickelter Gruppen von Menschen auf dem Konsum schwächerer Lebewesen basiert. Wir leben in einer pervertierten Gesellschaft. Es wäre schön, wenn sich das irgendwann einmal ändern würde.

Bezüglich der Forschung sexualisierter Gewalt gegen Senioren, hilfsbedürftiger Menschen oder männlicher Kinder steckt Deutschland sozusagen in den Kinderschuhen. Sexueller Mißbrauch, Tierquälereien, wozu jegliche sodomistische Taten zählen und Tiertötungen werden ebenfalls gerade im deutschsprachigen Raum absolut unterrepräsentiert dargestellt. Eine erfreuliche, wenn auch seltene Ausnahme findet sich in den Arbeiten von Dr. Alexandra Stupperich. Mittlerweile ist vielfach in anderen Ländern darauf hingewiesen worden, daß ein deutlicher Zusammenhang zwischen Tierquälereien in der Kindheit und späterer Entwicklung von Gewaltdelinquenz besteht. Eigentlich unglaublich, zu welch ignoranten Leistungen das einzelne Individuum und unsere Gesellschaft fähig ist. Eine Umsetzung bisheriger Forschungsergebnisse, um präventiv wirken zu können, fand bisher nur minimalistisch statt.

Es besteht außerdem ein deutlicher kausaler Zusammenhang zu globalen wirtschaftlichen Deformationsprozessen und unterschiedlichen Formen der Ausbeutung, des Mißbrauchs, auch zur Gewaltdelinquenz.

Vertrauen Sie dem „Rechtsstaat“?

Der Idee des Rechtsstaates wird erst Leben durch die Menschen eingehaucht. Diese Menschen setzen nicht nur die Gesetze um, sie führen aus, kontrollieren und sanktionieren. Das Prinzip des sozialen Rechtsstaates an sich ist gut, genauso wie die Demokratie eine tolle Sache ist. Leider wirken insbesondere regierende Menschen, oder jene, die hinter den Kulissen agieren eher mutierend oder degenerierend auf diese positiven, idealistischen Systeme und Theorien. Dieses beinhaltet, dass das perfekteste System in jenem Moment defizitär wird, indem Menschen an und in ihm wirken.

Mit anderen Worten:
Das Ding kann noch so perfekt sein, gib es einem Menschen und er verändert es…

Sicherlich würde ich einem Rechtsstaat trauen, wenn nicht Menschen in diesem agieren und rechtsstaatliche Ideen beugen würden. Die Idee eines sozialen Rechtsstaats dürfte nun gerade in Deutschland – sieht man sich die Welt an – zu Grabe getragen werden.

Was sagen Sie zur Todesstrafe?

Für wen? Für einen Serienmörder, oder die Eltern, die ihn ignoriert haben und die Erzieherinnen und Erzieher, die weggeschaut haben, die Nachbarn, die nichts wissen wollten oder den Pädosexuellen, der das Kind bevor es zum Mörder wurde, aufs Brutalste vergewaltigte? In diesem Kontext sollte man ebenfalls den Staat, welcher erst die Basis schafft und die Gesellschaft, welche Verbrechen duldet, ignoriert und nicht dagegen agiert, nicht vernachlässigen, denn auch hier kann wenigstens von einer „Mitschuld“ gesprochen werden.

Wenn man einmal von den Schuldzuweisungen und Verteilungen absieht, bleibt das Sanktionssystem eine unerfreuliche, historisch antiquierte und ebenso konservierte Angelegenheit. Kein Wunder, daß noch so gestraft wird. Wir greifen zurück auf atavistisches „Gedankengut“. Die Todesstrafe und andere Sanktionsformen entbehren im weitesten Sinne dem humanistischen Grundgedanken. Schlimmer noch, wie die Mörder selbst, funktionieren diese Sanktionsformen erst, indem wir die Täter dehumanisieren, wir objektivieren und reduzieren sie auf ihre Taten, behandeln sie nicht wie menschliche Wesen die Rechte haben, wie alle anderen Menschen, wir machen sie zu unseren Opfern.

Wir vollziehen das gleiche Procedere, denn nichts anderes macht der Mörder, wenn er zur Tat schreitet. Er objektiviert seine Opfer, dehumanisiert und reduziert sie um seine perversen Phantasien umsetzen zu können. Er quält und foltert um seine Neigungen auszuleben. Seine Motivation unterscheidet sich scheinbar von den Motiven der Justiz, der Richter und Staatsanwälte. Das Ergebnis jedoch ist das Gleiche und teilweise weist sogar der Weg zu dem „erwünschten“ Ergebnis, einige Parallelen auf.

Unsere Gesellschaften strotzen geradezu vor Defiziten, so daß sie sich der Todesstrafe als letzte Sanktionsform bedienen. Einer der Gründe für unser vorsintflutliches Verhalten ist jener, daß nicht besonders intensiv nach Möglichkeiten zur Verhinderung bzw. Prävention geforscht wird. Ich deutete es bereits an, die Wissenschaft kann zum Teil als prä-intellektuell bezeichnet werden und hinkt auf vielen Gebieten unglaublich hinterher, vernünftige Prävention ist kaum möglich, dieses gilt ebenfalls für eine sinnvolle Strafe.
Wir wissen, daß man eher negative Entwicklungen provoziert, wenn man beispielsweise einen Serienvergewaltiger einige Jahre inhaftiert. Er kommt meist gefährlicher aus der Subkultur der JVA als er es vor seiner Verhaftung war. Er hat dazu gelernt in der „Knastschule“. Trotzdem wird er „weggesperrt“, ein unsinniges Mittel der Wahl. Natürlich gibt es bei bestimmten Tätern therapeutische Anwendungen, allerdings existiert derzeit keinerlei Datenmaterial welches Aufschluß über die realistischen Erfolge der Therapien gibt. Und da niemand mit Gewissheit sagen kann, daß dieser Täter nicht mehr morden oder vergewaltigen wird, wird es auch weiterhin als sinnvoll erachtet, die braven Mitglieder der Gesellschaft kurzfristig zu „schützen“ und die „bösen“ Menschen wegzusperren.

Wenn dieser eine, ganz bestimmte Täter dann entlassen wird, haben die meisten ihn vielleicht schon vergessen und die Gefährlichkeit von Straftätern nach mehrjähriger Haft ist eigentlich kein Thema – außer für die künftigen Opfer.

Die Todesstrafe, wie auch viele andere Sanktionsformen, ist ein Armutszeugnis oder eher noch ein Ohnmachtszeugnis für die Menschheit.

Hm. Wenn einer eines meiner Kinder ermorden würde, würde ich ihn im Gerichtssaal erschießen. Ich nenne das Gerechtigkeit. Hätten Sie dafür Verständnis?

Ich hätte Verständnis, aber ich würde es nicht Gerechtigkeit nennen…
Der durch die Ermordung Ihres Kindes entstandene Schmerz, die Trauer, Wut und Verzweiflung könnten sicherlich zeitweise Ihre Impulskontrolle reduzieren und den „Mord am Mörder“ möglich machen. Logische, rationale und gerechte Handlungen wären unter diesen Umständen erschwert. Leider würde ihr Handeln kein Kind auf dieser Welt wieder zum Leben erwecken. Sie hätten nichts verändert, verbessert, nichts ungeschehen gemacht. Sie hätten gemordet.

Ich schließe mich dem römischen Philosophen Lucius Annaeus Seneca (1 nach Christus bis 65) an:

„Kein kluger Mensch straft, weil ein Verbrechen wurde, sondern damit kein Verbrechen wird.“

Akzeptiert, wenngleich ich mich in diesem Fall der „germanischen“ Rechtsprechung anschließe. Da wir gerade bei Gesellschaften und Gesellschaftsformationen sind.
Jede Gesellschaft bringt „ihre“ Verbrechen hervor. Schaffe die Armut ab, dann hast du auch keine Diebe mehr – wußte man bereits vor über 100 Jahren. Könnte man von einem „kriminellen Kapitalismus“ sprechen?

Mit Sicherheit ist unsere konsumorientierte kapitalistische Welt an unterschiedlichen Straftaten beteiligt.

Axel F. selbst, die Hauptperson des Buches „Brieffreundschaft“ mit einem Serienmörder, würde diese Aussage sicherlich ebenfalls so unterschreiben. Die Gesellschaft und die von ihr geprägten Individuen, d. h. entsprechend sozialisierte und konditionierte Menschen sorgen mit ihren deformierten Verhaltensweisen dafür, daß erst unterschiedliche Formen der Kriminalität entstehen können. Allerdings halte ich persönlich es für übertrieben, dem Kapitalismus die ganze Schuld an Diebstahlsdelikten in die Schuhe zu schieben. Dieses wäre eine unangemessene und falsche Verallgemeinerung. M. E. würde es auch in einer „besseren“ Welt, welche nicht kapitalistisch organisiert und strukturiert ist, Diebstahlsdelikte geben. Wobei der Kapitalismus unserer Zeit insgesamt als kriminell zu bezeichnen ist. Klar ist, daß eine sozialere Gesellschaft/Welt jegliche Arten von Kriminalität absolut reduzieren könnte.

Sie sprachen von Prävention und vorbeugenden Maßnahmen. Was schlagen Sie vor?

Die Forschung müßte in jedem Falle vorangetrieben werden. Wie bereits erwähnt, besteht ein deutliches Defizit an Forschung in unterschiedlichen Bereichen im deutschsprachigen Raum. Wissenschaftliche Erkenntnisse, welche bedauerlicherweise zum Teil erst noch gewonnen werden müssen, sollten umgehend in unterschiedliche berufliche Disziplinen Einzug halten, hier insbesondere in die Therapie von Kindern und Jugendlichen.

Präventive Maßnahmen müssen frühzeitig im Bereich der Familie und der Erziehungs- und Sozialisationsinstanzen umgesetzt werden. Frühzeitig, weil das menschliche Gehirn besonders in der Kindheit prägbar ist und genau in dieser Zeit präventive Arbeit beginnen muß. Die Einbeziehung der Eltern ist unabdingbar, da das Erkennen bestimmter Auffälligkeiten und Symptome beim Kind oder Heranwachsenden notwendig ist, um entsprechend intervenieren zu können.

Informationsveranstaltungen und Kurse sollten für Familien, Pädagogen, Erzieher, Interessierte und weitere Berufsgruppen angeboten werden. Gewonnene Erkenntnisse müßten ebenso Einfluß auf das Strafrecht und die Arbeit wie Ausbildung der Polizei haben.

Thematisch sollte Prävention die Kindererziehung, die kindliche Entwicklung und natürlich die kritische Phase der Adoleszenz* in den Fokus nehmen. Nicht nur Opfer bestimmter Gewalttaten weisen Symptome auf, sondern auch künftige Täter – wobei die Übergänge fließend sein können. Diese Verhaltensauffälligkeiten und Symptome zu erkennen und dann angemessen zu handeln, ist eine konkrete Form der Prävention. Diese ist jedoch nicht umsetzbar, da es im Bereich der Forschung schwere Defizite gibt, somit kann auch nicht optimal auf den relevanten Ebenen interveniert werden. Detaillierter möchte ich auf ihre Frage jetzt nicht eingehen, das würde den Rahmen dieses Interviews sprengen.

*Adoleszenz: Übergangsstadium in der Entwicklung des Menschen von der Kindheit/Pubertät hin zum vollen Erwachsensein; stellt den Zeitabschnitt dar, während dessen eine Person biologisch gesehen ein Erwachsener, aber emotional und sozial noch nicht vollends gereift ist.

Einverstanden. Stellen Sie uns zum Schluß bitte noch Ihr Buch „Brieffreundschaft“ mit einem Serienmörder vor.

Das Buch beinhaltet den seit ungefähr zwei Jahren bestehenden, intensiven Schriftwechsel mit einem Menschen, welcher Serienmorde verübte. Um die Jahrtausendwende wurde er inhaftiert. Da die Wahrung der Opfer- und Persönlichkeitsrechte an erster Stelle stehen, läßt das Buch keinerlei Rückschlüße auf die real existierenden Menschen zu, etwaige Ähnlichkeiten zu lebenden Personen sind nicht beabsichtigt. Es geht um die Lebens-, Leidens- und Mordgeschichte an sich. Nicht aber darum, die Leser zu weiterem, unnötigem Konsum durch klingende Namen beteiligter Personen, wie den des Mörders selbst, seiner Freunde, Feinde, Familie, Opfer und Angehöriger sowie durch blutrünstige Schilderungen zu irrigen Annahmen zu verleiten.

Eine der Besonderheiten besteht darin, daß die Darstellungen absolut realistisch, aktuell und unverfälscht sind. Es erklärt viel über das unglückliche Zusammenwirken von Familie, Mißbrauch in der Kindheit, den Anteilen unserer Gesellschaft und den daraus entstehenden möglichen Perversionen und kriminellen Handlungen. Der Mörder wird von mir als Axel F. bezeichnet.

Im Buch werden anschaulich unterschiedliche und zum Teil sehr tragische Aspekte seiner Kindheit geschildert, welche von schweren traumatischen Ereignissen geprägt waren und Anteil an seiner Entwicklung zum Serienmörder hatten. Der Leser bzw. die Leserin bekommt durch das Buch die vermutlich einzigartige Möglichkeit, wirklichen und unverfälschten Anteil an vielen Ereignissen seines Lebens haben zu können.
Diese Ereignisse sind nicht in der Form selektiv, wie wir es aus der Literatur dieser Sparte kennen. Es findet keine Verzerrung durch die einseitige Darstellung der Tötungshandlungen statt. Im unverfälschten Briefwechsel wird ein Leben „nachgezeichnet“.

Es passiert möglicherweise etwas Eigenartiges mit dem Leser und der Leserin. Der Blick auf den Täter verändert sich. Es gelingt nicht mehr, ihn zu reduzieren, zu stigmatisieren und zum Monster oder zur unmenschlichen Bestie zu degradieren. Wir sehen ihn als das, was er ist: ein Mensch, geprägt durch seine Familie, zutiefst in seiner seelischen Struktur verletzt durch zahllose Mißbrauchsakte und verraten wie ignoriert von der sozialen Gemeinschaft. Er ist ein Mensch wie wir, ein Produkt seiner Eltern, er lebt wie wir, mit uns, unter uns und entwickelt sich auch durch uns. Wir haben durch den Briefwechsel die Möglichkeit, nicht nur Anteil an der Kindheit und den Entwicklungen der Persönlichkeit vor den Taten zu erhalten, werden nicht zwanghaft fixiert auf sein frühes Opferdasein, sondern nehmen auch Teil an den alltäglichen Kleinigkeiten, die erfreuen oder traurig stimmen.

Vielleicht wird der eine oder andere Leser nach der Lektüre des Buches dazu in der Lage sein,
Mitgefühl zu empfinden für einen Täter, welcher Schreckliches tat und deshalb nie wieder ein Leben in Freiheit führen wird. Möglicherweise wird sich auch so etwas wie Wut einstellen, gegenüber den Eltern von Axel, ihrer Ignoranz, der emotionalen Kälte und Verantwortungslosigkeit ihm gegenüber. Vielleicht findet auch ein Prozeß des Umdenkens statt und die „Schuldfrage“ wird neu entdeckt und erhält Ergänzungen.
Es klingt ungewöhnlich, aber eventuell denkt die Leserschaft an einem bestimmten, oder mehreren Punkten im Buch einfach „um“ und entdeckt die vielen Facetten und Farbnuancen, die so häufig im Verborgenen bleiben bzw. den Menschen nicht zugänglich gemacht wird.

Axel F. ist ein sehr reflektierter und auch intelligenter Mann, es ist nahezu einzigartig, welche Einblicke durch unseren Schriftwechsel in sein Leben und die Entwicklung gewährt werden. Axel selbst berichtet in seinen Briefen und macht deutlich, wer an welchen Taten beteiligt oder aber schuldlos ist.

Wenn wir uns mit „üblicher“ Literatur über Serienmörder beschäftigen, ist es uns manchmal leider nur möglich, Teilaspekte zu erfahren. Diese beziehen sich dann meist auf die abscheulichsten Taten, welche verübt wurden, auf das Leiden der Opfer und die außerordentliche Brutalität oder Perversion, welche bei den Taten vorherrschend ist. Die Massenmedien schlachten diese schrecklichen Handlungen ja schon seit einiger Zeit massiv aus. Namen von Tätern und Opfern finden bedauerlicherweise häufige Verwendung und die Rechte der Opfer und ihrer Familienangehörigen werden mit Füßen getreten. Viele andere Dinge von höchster Wichtigkeit blieben und bleiben allerdings auf der Strecke, werden gar nicht erst erwähnt. Damit gemeint ist beispielsweise, wie es überhaupt dazu kommen konnte, daß ein Mensch derartige Grausamkeiten begeht. Es handelt sich schließlich nicht um „geborene“ Mörder oder „geborene“ Verbrecher. Diese Menschen, welche uns nur als nächtliche Schreckgespenster im Spätprogramm oder in reißerischen, bluttriefenden Büchern vorgestellt werden, haben eine Geschichte. Sie durchliefen eine Entwicklung, bevor sie jene Taten verübten, die für uns auf den ersten und auch zweiten Blick völlig unverständlich scheinen. Sie haben ein Leben, hatten eine Kindheit, haben geliebt oder tun es noch und wurden bzw. werden geliebt. All diese u. a. Details finden meist keine Erwähnung.

Im Buch „Brieffreundschaft“ mit einem Serienmörder ist das anders. Es werden keine Bereiche „ausgeblendet“. Es gibt hier nicht nur den ersten und zweiten Blick, es gibt viele Blicke aus den unterschiedlichen Richtungen in vielfältige Bereiche des Lebens. Neben familiären und freundschaftlichen Beziehungen finden die unglaublichen traumatischen Ereignisse, welchen Axel F. in seiner Kindheit immer wieder ausgesetzt war, ohne daß ihn jemand beschützt oder ihm geholfen hätte Erwähnung. Darüber hinaus erfährt der interessierte Leser etwas über seine Empfindungen, sein Seelenleben, seine (Alp-)Träume, seine Phantasien und Ängste im Hier und Jetzt, im Heute, wie auch in der Vergangenheit.

Eine gewisse Dominanz besteht in den Briefen bezüglich der Mißbrauchsakte, welche Axel als kleiner Junge und über viele Jahre erleiden mußte. Auch die unmenschlichen Folterungen kommen in Sequenzen zur Sprache. Es handelt sich um eine lange Leidensgeschichte durch unterschiedliche Täter. Er wurde an zum Teil sadistische Pädosexuelle „vermietet“, kam frühzeitig in Kontakt mit perversesten sexuellen Praktiken, welche an ihm verübt wurden. Ebenso wurde er Zeuge von schlimmsten sodomistischen Akten, welche er später ebenfalls ausführte.

Axel war also auf vielfältige Arten und Weisen immer wieder Opfer, bevor er zum Täter wurde. Dieses Schicksal teilt er offensichtlich mit vielen anderen, nicht aber mit allen Sexualserienmördern. Es handelt sich bei der Erwähnung dieses prägnanten Aspektes in seinem Leben um eine Erklärung, nicht um eine Entschuldigung. Derartige Taten können nicht „entschuldigt“ werden. Das muß mit aller Klarheit gesagt werden.

Mittels des Schriftwechsels werden anschaulich Teile der Lebenskarriere dieses Menschen beschrieben, wobei natürlich auch die von ihm begannen seriellen Tötungen nicht unerwähnt bleiben. Diese Taten können durchweg als besonders grausam, sadistisch und pervers bezeichnet werden. Seine ersten Folterungen, sodomistische Grausamkeiten und Tötungen führte er an unterschiedlichen Tieren durch. Er schändete außerdem Leichen und zerstückelte diese, schockierte die Öffentlichkeit durch seine Inszenierungen in Leichenhallen.

Durch die Lektüre des Schriftwechsels wird den Betrachtern deutlich, wie eine Entwicklung zum Täter möglich ist. Wenn wir es wagen, den Menschen in seiner gesamten Entwicklung zu betrachten – und das passiert innerhalb dieses Buch geradezu zwangsläufig, ist es uns möglich, mehr zu verstehen, den Mörder nicht mehr „nur“ auf seine Taten zu reduzieren, sondern zu erkennen, daß es sich um einen Menschen, wie Du und ich handelt.

Wir wagen Blicke in die unterschiedlichen Lebensabschnitte und hinter die Kulissen des Gesamtgeschehens. Der Leser wird nicht mit grausamen Sequenzen einzelner Morde und blutrünstigen Schilderungen „überfüttert“, sondern erfährt etwas über die Person des Opfers und Täters in einem Menschen. Es ist Realität, daß er im Laufe seiner Lebenskarriere durch unglaubliche Taten, die Journalisten mehr als üblich beschäftigte und erst vor wenigen Jahren reißerisch in den Medien präsentiert wurde, um den Atem vieler Menschen zum Stocken zu bringen. Es ist wahr, er folterte, quälte und ermordete erst Tiere, später Menschen und schändete bereits frühzeitig, in seiner Jugend Leichen.

Wer erwartet, daß das Blut bereits aus dem Umschlag des Buches tropft, muß schon im Vorfeld enttäuscht werden. Es handelt sich hier nicht um das fast üblich gewordene „Sex and Crime Fast Food“ für die Massen, welches uns in allen Medien begegnet und die Tatsachen verfälscht und uns völlig verzerrte Einblicke in mörderische Absonderlichkeiten bietet, sondern um reale Darstellungen, welche den Menschen nicht vergessen, sondern ihn in den Mittelpunkt des Geschehens stellen. Es ist nicht nur unverfälschtes Material, welches bislang nie veröffentlicht wurde, es ist ebenfalls die Dokumentation der Entwicklung eines sensiblen, intelligenten Mannes, welcher zum Teil unbemerkte und ungeahnte Entwicklungen durchlief, furchtbarste Grausamkeiten erlebte, bevor er diese internalisierte, perfektionierte, maximierte und polymorph-sadistische Tötungsakte inszenierte.

Die Leser bekommen also Einblicke hinter die Kulissen seines Lebens, der erfahrenen Leiden, der Entwicklung dieses durchaus auch liebevollen und zeitweise empathischen Mannes, seiner verübten grauenhaften Taten, wo nicht das geringste Mitgefühl für seine Opfer vorhanden war und seines Alltags, seiner Therapie und auch seiner Sorgen im Gefängnis.

An dieser Stelle sei Axel F. selbst noch das Wort gegönnt, um dem Leser einen Eindruck davon zu gewähren, wie und was Axel im Buch „Brieffreundschaft“ mit einem Serienmörder unter anderem zu erzählen hat. Hier ein kleiner Ausschnitt aus einem seiner Briefe vom 06.12.2007, in welchem Axel sich kurz zur Entwicklung seiner Gewaltphantasien äußert:

„Auch ist es inzwischen so, dass ich die meisten, sagen wir mal in mir liegenden (also von mir selbst ausgehenden) Auslöser gefunden habe die in der Regel zu eskalierenden Phantasien führen. Daher weiß ich auch wann es angebracht ist für Ablenkung zu sorgen. Denn auch wenn ich es langsam „akzeptiert“ habe, das übelste Gewaltvorstellungen quasi ein Teil meiner Selbst sind, ist es dennoch so, daß ich froh bin, wenn das, was ich denke und fühle, im normalen Bereich bleibt.
Diese, trotz allem eher unzulängliche „Steuerbarkeit“ ist aber eindeutig nur da wirksam, wo die „Auslösung“ bei mir selbst liegt. Kommt der Auslöser von außen, war´s das mit der „Kontrolle“. So makaber es auch ist, ich finde es bei diesen „Außenauslösern“ (ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll) irgendwie interessant, dass es da keine direkte Parallele zu geben scheint. Schwer zu umschreiben, ich versuche es mal mit 2 Beispielen: Sehe ich in der Glotze z. B. in einem Film eine Szene, in der ein Mensch gequält wird, sollte man angesichts dessen, was ich mir selbst ersonnen habe, bzw. ersinne, davon ausgehen, dass das Sehen einer meinem Denken ähnelnden Szene eine Art „Kettenreaktion“ auslösen müßte. Sprich, solch eine Szene meine negative Phantasie förmlich aufstachelt. Das ist aber nur höchst selten der Fall. Im Regelfall ist es dann eher so, daß ich das, was ich sehe, als abstoßend empfinde (und meist wegschalte). Wenn ich aber (ebenfalls in der Glotze), selbst wenn es nur aus dem Augenwinkel heraus ist, eine winzige Szene (da kann ein einziges Bild reichen) sehe in der ein eröffneter Körper erkennbar oder auch nur erahnbar ist, geht es sofort völlig ungebremst los. Binnen Sekunden überschlägt sich dann in meiner Vorstellung eine Mischung aus realen Erinnerungen, älteren Phantasien und es entstehen oft gänzlich neue Vorstellungen.

Anmerkung Klages: Axel folterte seine Opfer, weidete sie anschließend zum Teil aus, verging sich post mortal sexuell an ihnen, zerstückelte sie.

Wenn dieses „Programm“ erstmal läuft, kann es Stunden dauern, bis ich wieder einen sagen wir mal „lichten Moment“ habe und versuche, die sich immer mehr aufschaukelnden Vorstellungen in den Griff zu bekommen.

Einer festen Richtung folgen meine Gedanken dann aber nicht mehr. Obwohl, ja, die Richtung ist schon die Selbe wie vor der Verhaftung auch. Eben die, daß ich mir alles ausmale, was möglichst weit weg vom „Normalen“ liegt.
Wie erklären, was ich meine? ….???

Die, nennen wir sie mal, „klare Opfervorstellung“ die vorher noch da war, gibt es nicht mehr. Vor der Verhaftung und auch noch bis zum Prozeß war die Art wie sich meine Phantasien aufbauten trotz etlicher Varianten im Grunde immer gleich. Der Kopf driftet ab und dann ging es über diverse Vorstellungen über das, was ich Tieren antun könnte „relativ“ langsam zu Dingen über, die ich einer Frau antun könnte. Da war dann aber auch Ende.…“

Lassen wir es bei diesen kurzen Schilderungen für den Moment bewenden. Mehr von und über Axel können Sie im Buch „Brieffreundschaft“ mit einem Serienmörder lesen.

Zum Schluß: Frau Klages, an was arbeiten Sie zur Zeit? Kann man sich bei Ihnen beraten lassen?

Ich arbeite an der kriminologischen Masterarbeit zum Thema: „Sexualdeliquenz im Kontext mit Tierquälerei“. Recht simpel formuliert geht es hier um den benannten und insbesondere in Deutschland unterrepräsentierten Zusammenhang dieser Themenbereiche. In anderen Ländern, primär Amerika, gibt es darüber schon einiges an Forschung und dementsprechend auch an Literatur. Ich arbeite mit Biographieanalysen einiger weniger Sexualserienmörder der deutschen Geschichte und wage den exemplarischen Vergleich zur Gegenwart. Der Kontext zur Gewaltdelinquenz an sich ist übrigens (bis auf das deutsche Dunkelfeld), ebenfalls recht deutlich belegt worden. Es ist unklar, inwiefern die Untersuchungsergebnisse auf unsere Verhältnisse übertragbar sind.
Dann arbeite ich an meiner Dissertation zu dem Thema: „Die Opfer-Täter-Entwicklung und die Co-Täterschaft des Umfeldes bei seriellen Sexualmorden“.

Zu Ihrer zweiten Frage: Ja, ich stehe für Betroffene, Patienten, Opfer, für Beratungen, Schulungs- und Ausbildungszwecke zur Verfügung. Aufgrund meiner Ausbildung zur Dipl. Pädagogin, spezialisiert auf Lernstörungen und abweichendes Verhalten, biete ich Eltern, deren Kinder betroffen sind umfangreiche und praktikable Hilfestellungen durch pädagogische Beratungen. Bei jeglichen Problemsituationen innerhalb der Familie (Paarkonflikte), auch bei Schwierigkeiten mit den Kindern etc. (z. B. deviante Verhaltensweisen der Kinder) bin ich die Ansprechpartnerin (therapeutische Beratung).

Weiterhin besteht die Möglichkeit, mich zu „buchen“, wenn es um die Thematik des sexuellen Mißbrauchs (Vorträge, Seminare u. a.) oder die Entwicklung von Gewaltdelinquenz bis zum Sexualserienmord geht (hier beziehe ich mich primär auf die Entwicklung zum Sexualserienmörder).

Frau Klages, ich danke Ihnen recht herzlich für das offene und interessante Gespräch!

Ihr Buch „Brieffreundschaft“ mit einem Serienmörder erscheint Ende 2014 als 2. Auflage im Sofcover. Die 1. Auflage von 2009 ist vergriffen.