Gerd Frank: Albert Fish (1924–1934)

Das Mädchen schrie verstört auf, als es den alten Mann sah: Splitternackt stand er neben der aufgeklappten Holzkiste, in der ein kleines Schlachterbeil, ein langes Schlachtermesser und eine Handsäge zu sehen waren.
„Ich sag’s Mama“, konnte Grace noch rufen, dann war es aus. Der schreckliche alte Mann packte das Mädchen, würgte es bis zur Bewußtlosigkeit und verging sich dann an ihm. Albert_fish

Sechs Jahre später saß dieser Mann – noch älter, noch gebrechlicher – vor den Ermittlern der New Yorker Mordkommission und schilderte in allen Einzelheiten, was weiter geschehen war. Man spürte dabei förmlich, daß ihm das Ganze perversen Genuß bereitete. „Ich hab sie dann mit dem Werkzeug aus meinem Kasten, den ich immer dabei habe, geköpft und zersägt. Das meiste habe ich im Wald hinter dem Haus vergraben, das andere habe ich eingewickelt und mit nach New York genommen. Ich habe es gekocht und war danach enttäuscht, denn es war nicht so gut, wie ich gehofft hatte.“
Damals, am 3. Juli 1928, als die zwölfjährige Grace Budd aus New York auf grauenvolle Weise sterben mußte, war dies alles noch unbekannt. Die Budds gingen an jenem Abend zur Polizei und berichteten, daß ihre Tochter mit einem flüchtigen Bekannten namens Frank Howard zu einer Kinderparty aufs Land gefahren und noch immer nicht zurückgekehrt sei. Nachforschungen ergaben, daß es unter der angegebenen Adresse keinen Frank Howard gab. Der Mann hatte sich also unter falschem Namen das Vertrauen der Familie Budd erschlichen. Suchaktionen, die Wochen dauerten, blieben erfolglos. Der Mann, nach dem gesucht wurde, lebte weiterhin unerkannt in New York – nur ein paar Straßen vom Haus des Ehepaars Budd entfernt. Die Nachbarn kannten ihn unter dem Namen Albert Fish. Er war ein alter Sonderling, und alle hatten Mitleid mit ihm. Vor elf Jahren hatte ihn seine Frau mit vier kleinen Kindern sitzenlassen. Ganz allein zog er seine Kinder groß.
Albert Fish war jetzt 62 Jahre alt, hatte nie etwas Richtiges gelernt und deshalb auch nie wirklich gearbeitet. Von dem kleinen Vermögen, das er von seinen Eltern geerbt hatte, lebte er scheinbar einfach in den Tag hinein. Was aber niemand wußte: Albert Fish war pervers. Sexuelle Lust empfand er nur, wenn er kleine Kinder quälen, töten und zerstückeln konnte. Oder wenn er sich selbst Schmerzen zufügte.
Der Mord an Grace Budd war sein zweiundzwanzigster – soweit er sich noch erinnern konnte. Manchmal sprach er auch von 31 Mordfällen. Seit ihn seine Frau verlassen hatte, streifte er oft stundenlang durch die Stadt und die Umgebung und suchte sich kleine Kinder. Sein Vorgehen war immer dasselbe: Er mißbrauchte, köpfte und zerschnitt sie. Manchmal fertigte er aus den Leichenteilen Päckchen, die er irgendwo auf Parkbänken, in Abfallkörben oder an Bushaltestellen liegen ließ. Manchmal vergrub er auch die zerstückelten Körper.
Fand Albert Fish kein Opfer, quälte er sich selbst. Er stach sich glühend heiße Nadeln in den Körper, schlug sich mit Feuerhaken und geriet dabei jedesmal in einen sexuellen Rauschzustand, ohne den er nicht mehr leben konnte.
Es gab Tage, da schloß er sich in seiner Wohnung ein (er lebte zu diesem Zeitpunkt bereits allein) und stach sich bis zu 200 Nadeln in den Körper. Danach sah er aus wie ein lebendiges Nadelkissen. So lief er stundenlang herum, und jedesmal, wenn er sich sexuell erregen wollte, schlug er mit der flachen Hand leicht auf im Körper steckenden Nadeln. Viele brachen dann ab und blieben für immer stecken.
Bis heute ist es eine Frage ohne Antwort, warum sich Albert Fish schließlich selbst der Polizei auslieferte. Im Sommer 1934, sechs Jahre nach dem Mord an Grace, erhielten die Eltern des Mädchens einen Brief. Darin beschrieb ein gewisser Robert Hayden den grausigen Mord in allen Einzelheiten und bezeichnete sich selbst als Täter.
Als sich die Polizei mit dem Schriftstück befaßte, erlangte der Fall Grace Budd wieder Aktualität. Diesmal ließ die Polizei nach Zeugenaussagen eine Zeichnung von „Onkel Frank Howard“ anfertigen und veröffentlichen. Das hätte sie längst tun sollen, denn der Aktion war ein voller Erfolg beschieden. Der Mann sah Albert Fish zum Verwechseln ähnlich. Seine Nachbarn erkannten ihn sofort.
Zwei Monate später saß der alte Mann im Gefängnis, er gestand sofort und erzählte weitschweifig auch von allen anderen Morden. In seiner Erinnerung brachte der inzwischen 68jährige jedoch allerhand Details durcheinander, weshalb auch nie genau geklärt werden konnte, wie viele Kinder er nun wirklich umgebracht hatte. Albert Fish wurde 1935 zum Tod auf dem elektrischen Stuhl verurteilt. Seine Verteidiger hatten vergebens auf „unzurechnungsfähig“ plädiert. Am 16. Januar 1935 wurde der inzwischen fast 70jährige auf den Elektrischen Stuhl geschnallt. (…) Leseprobe aus Totmacher 5.