In Vorbereitung/Leseprobe aus dem „Lexikon der kriminellen Kannibalen“ von Janis Weißheit

Lichtenburg, Oskar

Am Ostersonnabend 1919 wurde die elfjährige Rosa Völker in Rodach bei Coburg entsendet, um ihrem Vater das Mittagessen zu bringen. Der Arbeiter verrichtete an diesem 19. April sein Tagewerk an der Straße nach Heldburg. Als das Mädchen abends noch immer nicht nach Hause gekommen war, wurden am Sonntag Streifen ausgeschickt. Kinder entdeckten kurz darauf in einem Waldstück am Stadtrand an einem Strauch hängende Eingeweide sowie unweit davon entfernt unter Laub versteckt den Kopf des Mädchens, Knochen und ein Bein mit Strumpf und Schuh. Es gelang den hinzugezogenen Ermittlern schnell, die grausigen Details des Verbrechens ans Tageslicht zu bringen.

Bereits am Vormittag des 23. April 1919 verhaftete man den 29 Jahre alten Oskar Lichtenburg in seiner Wohnung aus seinem Bette heraus und brachte ihn ins Coburger Gefängnis. Der ledige ehemalige Schauspieler, Artist und Händler entstammte dem Dorf Oberfladungen bei Mellrichstadt. Er hatte im Weltkrieg gedient, war mehrfach ausgezeichnet worden und machte einen durchaus normalen Eindruck. Lichtenburg gestand, die Nacht zum Sonnabend in einem Gasthaus in Rodach verbracht, dieses gegen halb elf verlassen und das Mädchen in seiner Militäruniform in das Waldstück gelockt zu haben. Dort habe er dem Mädchen das Essen abgenommen und an ihr ein Sittlichkeitsverbrechen begehen wollen. Als das Mädchen geschrieben habe, habe er sie mit einem Schlag auf den Kopf niedergeschlagen und ihr die Kehle durchgeschnitten. Die Leiche habe er liegengelassen und sei geflohen. Am Abend sei er zurückgekehrt und habe das Kind zerstückelt. 13 Pfund Fleisch habe er herausgeschnitten. Ein halbes Pfund habe selbst gegessen. Den Rest habe er in seinen Handkoffer gestopft und sei hausieren gegangen. Das Fleisch habe er als Hammelfleisch, das Pfund zu 4 Mark, in Rodach an einen Gasthof, eine Wirtschaft und einen Privathaushalt verkauft. Die zeitgenößischen Zeitungsberichterstattung berichtete betont und auffällig häufig, dass alle Stücke des verkauften Fleisches bereits am 1. Osterfeiertag beschlagnahmt und nicht davon gegessen wurde, da die Käufer das Fleisch beanstandet hätten. Die Beruhigung der Bevölkerung scheint dabei eine nicht unwesentliche Rolle gespielt zu haben. Einige Tage später gestand Lichtenburg, bereits am Karfreitag ein Mädchen auf der Straße bei Hildburghausen überfallen, zu vergewaltigen versucht und ausgeraubt zu haben. Anfang Mai 1919 wurde er nach Meiningen überführt. Das dortige Schwurgericht verurteilte ihn zum Tode. Wenig später starb Oskar Lichtenburg in Untermaßfeld unterm Fallbeil. Die Geschichte des Völkers Rösle lebt bis heute. (Themarer Zeitung 24.04.1919, 26.04.1919, 01.05.1919; Gartzer Zeitung 24.04.1919; Der Schozachtäler: Ilsfelder Zeitung 30.04.1919; Leipziger Tageblatt und Handelzeitung 30.04.1919; inSüdthüringen 29.10.2020; Fränkischer Tag 20.07.2021)

Das Buch mit einem Vorwort von Mark Benecke erscheint am Anfang des III. Quartals im Verlag Kirchschlager.