Gerd Frank: DER WÜRGER VON WITEBSK – Der Fall Gennadi Michasewitsch (1971-1985)

Gennadi Michasewitsch wurde 1947 (in manchen Berichten wird fälschlich das Jahr 1948 erwähnt) in Ist, einem weißrussischen Dorf im Kreis Witebsk (Witebsk-Oblast). (…) Seinen ersten Mord beging er nach der Entlassung am 14. Mai 1971, als er gerade 24 Jahre alt war.
An dem Tag, als er erfuhr, daß ihn seine Freundin verlassen und einen anderen geheiratet hatte, war er von Witebsk nach Polozk unterwegs. Weil es bereits Abend war, fuhr kein Bus mehr nach Polozk, wo seine Eltern lebten. Michasewitsch behauptete später, unter dem Verlust seiner Freundin sehr gelitten zu haben, so sehr, daß er sich sogar mit dem Gedanken getragen habe, sich aufzuhängen.
Da kam es zu einer schicksalhaften Begegnung. Er entdeckte eine junge Frau auf der Straße und sagte sich, daß es viel besser sei, die umzubringen, statt an sich selbst Hand anzulegen. Er erwürgte sie in der Nähe der Straße, legte sie dort ab und bedeckte sein Opfer notdürftig mit Erde.
Sein zweites Opfer hat als einziges überlebt. Er hatte der Frau bereits eine Schlinge um den Hals gelegt und zugezogen, doch war es ihr gelungen, eine Hand dazwischenzulegen und dem Druck standzuhalten. Gleichzeitig biß sie ihn in den Finger und schrie lauthals um Hilfe. Als eine Gruppe von Schülern des Weges kam, ließ Michasewitsch von ihr ab und flüchtete. Noch am selben Tag suchte er sich dann ein anderes Opfer. Im darauffolgenden Jahr erdrosselte er in der Nähe von Witebsk zwei weitere Frauen. 1973 schloß er den Besuch einer technischen Fachschule in Witebsk ab und kehrte in seinen Geburtsort Ist zurück, wo er zunächst in einer Sowchose Arbeit fand. Drei Jahre danach heiratete er, beging jedoch in der Zwischenzeit weitere Morde.
Viele seiner Mordopfer vergewaltigte er, anschließend erwürgte oder erstickte er sie – entweder an einsamen Orten entlang der Autobahnen und Landstraßen oder aber in seinem eigenen Auto (er besaß einen roten Saporoschez, von dem die Russen sagten, es sei ein Kleinwagen gewesen, den keiner haben wollte) beziehungsweise in einem Fahrzeug seines nachmaligen Arbeitgebers, einer staatlichen Reparaturwerkstätte in Soloniki, in der Nähe von Polozk. Dabei nahm bevorzugt Anhalterinnen mit, die er meist mit einem Hanfseil oder einer Krawatte erdrosselte. Waffen trug er nicht bei sich. Nach der Tat raubte er seinen Opfern gewöhnlich Geld und Wertgegenstände. (…)
Gennadi Michasewitsch galt als anständig, war Abstinenzler, hatte zwei Kinder, wurde als guter Familienvater betrachtet, war angesehen und ein gewissenhafter Arbeiter.
Außerdem war er Mitglied der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und diente als lokaler Parteifunktionär sowie (kurioserweise!) als „Druschinnik“, das heißt als freiwilliger Helfer der Miliz.
Wie die russische Nachrichtenagentur TASS später mitteilte, kam die Miliz auf diese Weise immer wieder von der richtigen Spur ab. Zahlreiche Unschuldige wurden inhaftiert. (…)
Erst in den 80er Jahren, nach dem Mord an einer Studentin, deren Leiche in der Nähe eines Bahnhofs gefunden wurde, kam man mit der Fahndung entscheidend voran. Der damalige noch junge Leiter der Mordkommission, Nikolai Ignatowitsch, erkannte, daß alle diese Morde in der Nähe von Autobahnen, Bahnhöfen und Straßen nicht von verschiedenen, sondern von einer einzigen Person verübt worden waren, offensichtlich einem Serienmörder. (…)
1985 brachte er zwölf Frauen um. Schließlich beging Michasewitsch jedoch einen verhängnisvollen Fehler. Um die Ermittlungen auf eine vollständig andere Fährte zu lenken, sandte er an die Lokalzeitung einen anonymen Brief, den er mit „Die Patrioten von Witebsk“ unterzeichnete. Darin forderte er im Namen einer imaginären Untergrundorganisation, daß der Kampf der Miliz „gegen verbrecherische Kommunisten und ehebrecherische Frauen“ verstärkt geführt werden solle.
Als Michasewitsch ein ähnliches handgeschriebenes Bekennerschreiben, das er erneut mit „Die Patrioten von Witebsk“ unterschrieben hatte, neben seinem nächsten Opfer zurückließ, wurde eine intensive Untersuchung durchgeführt. (…)
Gennadi Michasewitsch wurde im Dezember 1985 im Hause von Verwandten in der Nähe seines Wohnorts festgenommen. (…) Im Januar 1987 erfolgte seine Hinrichtung.