Javed Iqbal (der Name „Iqbal“ bedeutet „der Glückliche“) war das sechste Kind von Mohammad Ali Mughal, einem wohlhabenden Geschäftsmann, geboren 1956 in Lahore. Seine Kindheit verlief weitgehend unproblematisch; er besuchte ein islamisches Gymnasium. Danach studierte er vorübergehend an der Universität. Mit knapp 22 Jahren machte er sich dann im Jahr 1978 mit einer Stahlgießerei in der Metallbranche selbstständig, als sein Vater zwei Villen im Stadtteil Shadbagh kaufte. In einem dieser Häuser lebte er jahrelang relativ unauffällig, wobei es niemanden sonderlich zu stören schien, daß er nicht allein darin wohnte, sondern seine Unterkunft mit jungen Männern teilte. (…)
Ende 1990 zeigte ein Mann Javed Iqbal wegen sexuellen Mißbrauchs seines Sohnes an. Weil man Iqbal nicht festnehmen konnte, nahm man stattdessen den Vater und zwei seiner Brüder in Haft; dennoch stellte sich der Untergetauchte nicht dem Gericht. Acht Tage danach verhaftete man einen seiner häuslichen Mitbewohner. Jetzt tauchte Iqbal innerhalb weniger Stunden auf und beschimpfte seine Angehörigen, weil sie das nicht verhindert hatten. Er beantragte die sofortige Freilassung des Jungen, freilich ohne Erfolg zu haben.
Mehrere Jahre lang hatte sich Javed den Bemühungen seiner Familie widersetzt, eine Ehe einzugehen. Eines Tages verblüffte er alle, indem er erklärte, eine Braut gefunden zu haben. Sie war die ältere Schwester eines seiner „jungen Freunde“. Auf diese Weise wollte er verhindern, daß dieser sich von ihm trennte.
Die Ehe, die 1983 geschlossen wurde, bestand nur ein paar Monate. Mit ähnlicher Absicht verheiratete Iqbal seine jüngste Schwester mit einem dieser Jungen. Menschen, die Javed Iqbal genauer kannten, bezeichneten ihn als „bösen Geist“. Zudem soll er über Recht und Gesetz genau Bescheid gewußt haben und nervte die Behörden immerfort mit begründeten und unbegründeten Anträgen.
Einmal wurde er verhaftet und sechs Monate lang unter dem Vorwurf von Sodomie eingesperrt. Von seiner verhängnisvollen Neigung ließ er sich aber in keiner Weise abbringen.
Feststeht auch, daß Javed Iqbal sich an dem Sohn eines sehr angesehenen Bürgers von Shadbagh vergangen hat. Der Fall wurde gerichtsanhängig und er zeigte sich „reumütig“, indem er eine schriftliche Versicherung abgab, niemals wieder rückfällig zu werden. Entsprechende Kopien dieses Schriftstücks wurden im gesamten Bezirk verteilt.
Kurz darauf starb sein Vater, und somit gab es niemanden mehr, der ihn an die Einhaltung seines Versprechens hätte erinnern können. Dennoch stand fest, daß er, falls er noch einmal vor Gericht gestellt würde, sicher sein konnte, bestraft und aus der Stadt verbannt zu werden.
Trotz allem war er weiterhin hinter Jungen her. (…) Finanziell gesehen, war Iqbal in der Tat „der Glückliche“. Denn nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1993 erhielt er ein bedeutsames Erbe von etwa 3,5 Millionen Rupien aus dem Nachlaß (dies entsprach einem Wert von etwa 43.000 Euro).
Nun ließ er sich in Rana, Shahdara, nieder, wo er etwa zwei Jahre danach ein großes Haus bauen ließ. Es verfügte über einen Pool in einem Hinterhof sowie einen riesigen Park mit einem Teich. Er genoß es, mit „seinen Jungen“ Ausflüge in einem fünftürigen Pajero zu unternehmen, oftmals hatte er sechs oder mehr von ihnen dabei.
Schließlich verkaufte er die Villa in Rana und legte sich eine Residenz in Fatehgarh, Ghaziabad zu, außerdem eröffnete er wieder eine Videothek. Im September 1998 kam es dann aber plötzlich zu einem schweren Zwischenfall.
Iqbal und einer seiner „Mitarbeiter“ wurden überfallen und ausgeraubt. Dabei erlitt „Der Glückliche“ sehr schwere Kopfverletzungen und blieb 22 Tage lang bewußtlos auf der Intensivstation des Allgemeinen Krankenhauses von Lahore.
Zunächst ermittelte die Polizei wegen eines Raubüberfalls, ging dann aber davon aus, daß der Vorfall mit Iqbals Mißbrauchsvergehen zu tun haben mußte. Deshalb wurde er auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus festgenommen und später von einem lokalen Gericht erst gegen Kaution wieder freigelassen.
Weil seine Angehörigen nicht bereit waren, für eine Nachbehandlung Iqbals Geld auszugeben, wurden seine Residenz in Ghaziabad sowie die Autos verkauft, um die entsprechenden finanziellen Mittel zu beschaffen.
Als es ihm wieder besser ging, stellte er schockiert fest, daß er nahezu sein gesamtes Vermögen verloren hatte. Bei mehr als einer Gelegenheit erzählte er später seinen Brüdern, daß er eine Chemikalie entwickelt habe, mit der man einen Menschen in Minutenschnelle „in ein Skelett“ verwandeln könne.
Dann begann im Mai 1999 plötzlich in Lahore eine schauerliche Mordserie an Kindern zwischen sieben und sechzehn Jahren, die fast ausnahmslos aus ärmlichen Verhältnissen stammten. (…) Außerhalb der Villa entdeckte man zwei Fässer mit Salzsäure, in denen – noch gut erkennbar – menschliche Körperteile schwammen. Auch diese Behälter waren beschriftet. Aus den Notizen ging hervor, daß Iqbal sie absichtlich stehen gelassen hatte, damit sie von der Polizei gefunden würden. Nun war klar, daß man es mit einem schrecklichen Serienmörder zu tun hatte. Der Verdächtige mußte schleunigst aufgespürt werden.
Irgendwie war es unvorstellbar, daß diese Verbrechen stattgefunden haben sollten. Wie war es möglich gewesen, daß derart viele Kinder – ohne daß jemand Verdacht geschöpft hatte – verschwunden und ermordet worden waren? (…)
Ein Problem ist wohl auch, daß es zahlreiche sogenannte „Straßenkinder“ gibt, Kinder, um die sich niemand kümmert, die sich selbst überlassen sind, die vom Betteln, Stehlen und der Prostitution leben müssen, weil sie sonst verhungern würden. Nach einer erschütternden Statistik leiden etwa 48 Prozent aller pakistanischen Kinder an Unterernährung. (…)
Schätzungsweise 10.000 Kinder laufen jedes Jahr von zu Hause weg, wobei Tausende sich in den Ländern des gesamten Nahen Ostens als Jockeys für Kamelrennen verdingen, die dort zur Belustigung wohlhabender Geschäftsleute oder reicher Privatiers veranstaltet werden. (…) Javed Iqbal selbst war bis zum 30. Dezember 1999 auf der Flucht, bevor er die Büroräume der Zeitung „Daily Jang“ betrat, um sich zu stellen. Er wurde umgehend der Polizei übergeben und verhaftet. (…) Bei der bald darauf – im Februar 2000 – angesetzten Gerichtsverhandlung widerrief er sein bereits abgelegtes Geständnis und behauptete, es sei unter Zwang entstanden. Doch sein Tagebuch sprach eine deutlich andere Sprache (…)
Am Ende half ihm alles Leugnen nichts und er wurde am 16. März 2000 zum Tode verurteilt. Der vorsitzende Richter Allah Baksh Ranja sprach dabei eine sehr ungewöhnliche Todesstrafe aus, ganz nach dem Gesetz der Scharia. Er verfügte, daß Javed Iqbal vor den Augen der Eltern seiner Opfer erdrosselt, sein Körper in hundert Einzelteile zerstückelt und diese dann in Salzsäure aufgelöst werden sollten. Das Urteil sollte exakt der Art und Weise seiner Mordtaten zu entsprechen. Formal gesehen, wurde Iqbal wegen Zerstörung von Beweismaterial außerdem zu 700 Jahren Gefängnis verurteilt: jeweils sieben Jahre standen für die Beseitigung jeder der hundert Leichen.
Obwohl einige Teile Pakistans nach dem Gesetz der Scharia leben, hätte dieses Urteil vor dem Obersten Gerichtshof angefochten werden können, wenn sich Javed Iqbal nicht vorher in seiner Zelle im Kot Lakhpat-Gefängnis am 8. Oktober 2001 erhängt hätte.
Der vollständige Beitrag findet sich abgedruckt in dem Band TOTMACHER 4.