Gerd Frank: Richard Speck (1966)

In der Kriminalgeschichte der Vereinigten Staaten von Amerika nimmt das Jahr 1966 einen besonders unrühmlichen Platz ein. Eines von zahlreichen schrecklichen Verbrechen stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten. Am 14. Juli jenes Jahres wurde in South Deering, einem Vorort von Chicago, der Mord an acht Krankenschwestern entdeckt, die zusammen in einem Appartement gewohnt hatten. (…)

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Die neun Mädchen hatten im „Chicago Community Hospital“ gearbeitet, wo sie im Rahmen eines Krankenschwester-Austauschprogramms in der Praxis unterwiesen wurden. Eine halbe Stunde nach Mitternacht befanden sich erst sechs Mädchen zu Hause. Drei, die in Kürze heiraten wollten, waren noch mit ihren Freunden aus. Die Zuhausegebliebenen hatten einen netten Abend zusammen verbracht und wollten gerade ins Bett gehen, als es unverhofft an der Tür klingelte.
„Ich gehe öffnen!“ rief eines der Mädchen. Alle dachten, es seien die anderen drei, doch sie täuschten sich. Das Mädchen, das die Tür aufgemacht hatte, kam bleich und starr vor Angst zurück gefolgt von einem fremden Mann: hemdsärmelig, groß, blond und kräftig. In den Händen hielt er eine Pistole und ein Messer.
Die Mädchen hatten keine Zeit, sich von ihrem Schrecken zu erholen. Noch bevor sie ein Wort sagen konnten, zischte der unheimliche Fremde: „Haben Sie keine Angst, schreien Sie nicht! Ich möchte nur ein wenig Geld, ich muß nach New Orleans.“
Der Mann angelte sich einen Stuhl und ließ sich darauf nieder. Die Mädchen kramten hastig nach ihren Geldbörsen, dann händigten sie ihm ein paar größere Scheine aus. Lässig steckte er sie in seine Hosentasche, traf aber keinerlei Anstalten, wieder zu gehen, im Gegenteil. Er sprach von banalen Dingen, plauderte, als wenn man ihn zum Tee eingeladen hätte. Dann sagte er plötzlich: „Na schön, Babys, ich muß jetzt gehen. Aber vorher muß ich euch noch fesseln und knebeln, sonst macht ihr mir noch Dummheiten. Das werdet ihr einsehen. Laßt euch nicht einfallen, die Nachbarn zu verständigen, sonst werde ich ungemütlich.“
Die Krankenschwestern versprachen es. Sie widersetzten sich auch nicht, als er daran ging, sie zu binden. Es bleibt eines der ungelösten Rätsel in diesem Fall, weshalb sich die Mädchen so ohne weiteres in ihr Schicksal ergaben. Sicher hätten die sechs eine ernsthafte Chance gehabt, wenn sie sich gemeinsam auf den Eindringling gestürzt hätten. Stattdessen band und knebelte er sie der Reihe nach mit Bettlaken. Dann musterte er sie kalt, wandte sich an eines der Mädchen, machte eine herrische Handbewegung und stieß hervor: „Du kommst mit.“
Er schleppte das Mädchen in ein anderes Zimmer und eine kurze Weile hörten die Zurückgebliebenen gar nichts mehr. Dann vernahmen sie einen gellenden Schrei, einen dumpfen Schlag und plötzlich herrschte unheimliche Stille.
Der Fremde kam zurück, holte sich ein weiteres Mädchen und verschwand mit ihm in einem anderen Zimmer. Der Vorgang wiederholte sich immer wieder. Als es dann unvermutet klingelte, hofften sie auf Rettung, doch die blieb aus. Statt dessen befanden sich nun alle neun Mädchen in den Händen des unheimlichen Fremden.
Nur eine von ihnen hatte unglaubliches Glück: Corazón Amurao. Der Mörder hatte die Philippinin in einem der Zimmer aufs Bett gelegt und wollte wohl später wiederkommen. (…)
Zwei, drei, vier bange Stunden verbrachte das Mädchen unter dem Bett, traute sich kaum zu atmen. Sie hörte mit an, wie eine nach der anderen Freundin ihr Leben ließ. Erst als Tageslicht ins Zimmer drang, wagte sich Corazón Amurao aus ihrem Versteck hervor. Nur mit äußerster Mühe gelang es ihr, ihre Fesseln loszuwerden, erst die an den Händen, dann die an den Beinen und schließlich den Knebel. Als sie frei war, beschloß sie, nach ihren Freundinnen zu sehen. Doch keine lebte mehr! Corazón bot sich ein grauenvoller Anblick. Da war überall Blut – auf dem Boden, auf den Betten und an den Wänden. Auf dem Boden und auf den Betten lagen die nackten, entsetzlich zugerichteten Leichen der acht Krankenschwestern.
Schon bald darauf konnte der Verbrecher identifiziert werden. Es handelte sich um Robert Franklin Speck, einen 25jährigen ehemaligen Seemann, der total abgebrannt war und ein unstetes Vagabundenleben führte. (…)
Am 5. Dezember 1991 starb Speck in seiner Gefängniszelle an einem Herzinfarkt. Leseprobe aus Totmacher 5.