Neuerscheinung: Totmacher 6 – Das Monster der Anden und andere unheimliche Kriminalfälle lateinamerikanischer Serienmörder von Gerd Frank

Nach den erfolgreichen ersten fünf Bänden der Totmacher-Reihe von Gerd Frank war der Autor auch in Band 6 bemüht, je nach Materiallage, möglichst flächendeckend vorzugehen. Er hat deshalb den Raum Mittelamerika mit Mexiko, Guatemala, El Salvador und Costa Rica abgedeckt. Südamerika ist vertreten durch die Länder Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien, Chile, Brasilien, Uruguay und Argentinien.

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Südamerika hat in den letzten Jahrzehnten eine ganze Reihe der schrecklichsten Serienmörder der Weltgeschichte hervorgebracht, was nicht zuletzt an den katastrophalen politischen Entwicklungen und Systemen liegt. Wie stark Drogenkartelle und andere höchstgefährliche kriminelle Vereinigungen und Banden große Teile Mittel- und Südamerikas im Würgegriff haben, zeigt die Verschleppung und Ermordung von 43 Studenten im Herbst 2014.
Es waren Polizisten, die die Studenten am 26. September 2014 in der Stadt Iguala angriffen und sie den Guerreros Unidos (Vereinigte Krieger), einer Drogenbande, übergaben. Mehrere Bandenmitglieder räumten ein, die jungen Männer getötet und ihre Leichen verbrannt zu haben. In den feigen Massenmord waren Polizisten und hochrangige Politiker involviert.
Es tobt ein innenpolitischer Krieg in Mexiko, der mittlerweile Zehntausende zur Flucht trieb. Doch nicht nur in Mexiko treiben kriminelle Banden ihr mörderisches Unwesen. Mächtige schwerbewaffnete Kartelle, der Polizei zahlenmäßig überlegen, kämpfen um Schmuggelwege in die USA. Hinzu kommen Schutzgelderpressung, Raub und Auftragsmorde. Besonders Guatemala, El Salvador und Honduras mit ihren hohen Armutsraten und korrupten Strukturen stehen einem staatsbedrohenden Kriminalitätsproblem gegenüber.
Die Kriminalität, die Gerd Frank in diesem Band beschreibt, darf nicht losgelöst von den in Südamerika herrschenden politischen, sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen und ihren Verflechtungen mit den USA gesehen werden.
Massenhafte Morde – lassen wir die unterschiedlichen Motivationen Nebensache sein – stehen in Südamerika auf der Tagesordnung. Die politischen und gesellschaftlichen Systeme sind aus den Fugen geraten. Polizei und Justiz sind unterwandert, korrupt, überfordert. Arbeitslose Jugendliche sind für die kriminellen Schlepper und Anführer leicht zu rekrutieren. Waffen werden aus den USA, dem Hauptabsatzmarkt der Drogen, beschafft.
Und inmitten der brutalen Auseinandersetzungen zwischen Staat und Drogenkartellen oder den Kartellen untereinander gelingt es Serienmördern relativ einfach, ihr mörderisches Unwesen zu treiben. Anders lassen sich die massenhaften Morde von Pedro Alonso López oder Luis Garavito nicht erklären. Diese Mörder haben die Möglichkeit zu dutzendfachen, ja hundertfachen Morden.
Es sind die gesellschaftlichen Mißstände, die eine abnorme Kriminalität produzieren. Mehr als eine Million Menschen in Rio de Janeiro hausen in Favelas, in Elendsvierteln. Hier „leben“ zehntausende Kinder vom Betteln, Stehlen – oder sie machen sie sich als Drogenkuriere und Kindersoldaten verdient. Die Armut hat von Südamerika Besitz ergriffen, und mit ihr eine ungeheure Kriminalität.
Am 12. November 2013 veröffentlichte das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) seinen „Bericht zur menschlichen Entwicklung 2013-2014“ zu Lateinamerika.1 Dieser beruht auf Studien, die in 18 lateinamerikanischen Ländern durchgeführt wurden. Größtes Problem für die Region sei demnach die innere Unsicherheit, die die soziale und wirtschaftliche Entwicklung behindere. Die soziale und ökonomische Situation der Bevölkerung müsse verbessert werden, um kriminelle Machenschaften zu reduzieren. Außerdem müßten Sicherheits- und Rechtsinstitutionen gestärkt werden.
In dem Bericht wird von einem „Paradoxon in der lateinamerikanischen Entwicklung“ gesprochen: Trotz anhaltenden Wirtschaftswachstums im vergangenen Jahrzehnt und trotz sozialer Verbesserungen ist die Kriminalität gestiegen. Dies sei unter anderem auf die weiterhin bestehende Ungleichheit zurückzuführen.
Seit dem Jahr 2000 wurden in Lateinamerika über eine Million Menschen ermordet. Die Zahl der Raubüberfälle habe sich in den letzten 25 Jahren verdreifacht. Die Wahrnehmung von Unsicherheit in der Region sei stark angestiegen.
Sechs sich überlappende Sicherheitsprobleme wurden herausgearbeitet: Straßenkriminalität, Kriminalität und Gewalt von Jugendlichen/gegen Jugendliche, geschlechtsbezogene Gewalt, Korruption, staatliche Gewalt und organisierte Kriminalität.
Die steigenden Konsumerwartungen zusammen mit mangelnder sozialer Mobilität schufen eine „aufstiegsorientierte Kriminalität“, die durch ein schnelles und unorganisiertes Städtewachstum, durch sich wandelnde Familienstrukturen und Defizite im Bildungssystem befeuert wird.
Junge Männer sind am häufigsten von Gewalt und Kriminalität betroffen und stellen gleichzeitig den größten Anteil an Gewalttätern. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO hat El Salvador mit 92,3 Todesfällen pro 100.000 Einwohner zwischen zehn und 24 Jahren die höchste Jugendmordrate der Welt, gefolgt von Kolumbien (73,4), Venezuela (64,2), Guatemala (55,4) und Brasilien (51,0).
Bei der geschlechterspezifischen Gewalt registriert der Bericht einen Anstieg der häuslichen Gewalt, der Vergewaltigungen und Frauenmorde in fast allen Ländern. Zwischen 75 und 90 Prozent der Täter kannten demnach ihre Opfer vor der Straftat, 20 bis 40 Prozent der Gewaltakte wurden durch Familienmitglieder begangen.
Die UNDP hat zudem Studien in Gefängnissen in Argentinien, Peru, Chile, El Salvador und Brasilien durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, daß im Schnitt jeder dritte Insasse sein Zuhause verlassen hat, bevor er 15 Jahre alt war, und daß zwischen 13 Prozent (Argentinien) und 27 Prozent (El Salvador) der Insassen niemals ihren Vater oder ihre Mutter kennengelernt haben. 40 Prozent der Insassen in Chile haben ihre Grundschulausbildung nicht abgeschlossen. Die Ergebnisse der Studien belegten den engen Zusammenhang zwischen sozialen Problemen und Kriminalität.
Die hohe Kriminalität hemmt die soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Im Jahr 2010 kosteten Gewalt und Kriminalität das Land Honduras 20,54 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), Paraguay verzeichnet einen Verlust von 8,7 Prozent, in Chile sind es rund drei Prozent des BIP.
Die nur halbherzig geführte Sicherheitspolitik der „harten Hand“ funktionierte nicht. Offensive Polizeieinsätze und harte Strafurteile fielen oft mit steigenden Kriminalitätsraten zusammen. Korruption, Straffreiheit und Unverhältnismäßigkeit im Strafmaß schwächten die Effektivität und Legitimität von staatlichen Akteuren. Ob aber „Sicherheitsabkommen zwischen Regierung, politischen Parteien und der Zivilgesellschaft“, wie es der UNDP-Regionaldirektor für Lateinamerika und die Karibik, Heraldo Muñoz, forderte, helfen, bleibt fraglich.