Völlig normal begann Jeffrey Lionel Dahmers Leben in Milwaukee – im US-Bundesstaat Wisconsin – , von wo er noch im Kindesalter fortzog. Nach seiner Rückkehr als innerlich zerrissener junger Mann brannte er der Stadt sein unaus- löschliches Zeichen ein: Im Gewahrsam der Polizei gab er zu, siebzehn bestialische Morde begangen zu haben. Das älteste seiner Opfer war 33, das jüngste erst 14 Jahre alt. Eine Leseprobe aus Totmacher 5
Am 22. Juli 1991 – gegen Mitternacht – wurde Jeffrey Dahmer im Zimmer Nr. 213 der „Oxford Apartments“ von Milwaukee festgenommen. (…)
Bei der Durchsuchung der Wohnung machten die Beamten einen grauenhaften Fund: Sie entdeckten Leichenteile im Kühlschrank, in der Gefriertruhe, in Schränken und in Kartons. Rasch wurde klar, daß man hier einen der entsetzlichsten Serienmörder der amerikanischen Kriminalgeschichte gefaßt hatte.
An der Wand stand neben einem Fenster ein blaues 200-Liter-Faß mit schwarzem Deckel. Dem Beamten, der den Deckel öffnete, drang ein unerträglicher Gestank in die Nase. In das Faß hatte Dahmer geköpfte Torsos gestopft. In einem Metallkessel im Schrank fand man verweste Hände und Genitalien; daneben standen Säurefässer.
Über Dahmers Bett und in seinem Badezimmer hingen männliche Aktfotos. Einige pornographische Videofilme und eine Kassette mit dem Film „Der Exorzist“ waren im Schlafzimmer verstreut, wo auch ein Fernseher und ein Videorecorder mit Fernbedienung standen. Außerdem besaß Dahmer einen Computer und auf dem Bett lag eine Polaroidkamera.
Ein Fototagebuch und zwei Schädel fand man im Computer-Pappkarton. Weitere Bilder entdeckte man in der Schublade der Schlafzimmerkommode und auf dem Gefrierschrank in der Küche. Die Bilder zeigten „männliche Personen in verschiedenen Stadien chirurgischer Zerlegung“, wie es in der klinischen Sprache des Berichts ausgedrückt worden war, den die Gerichtsmediziner verfaßt hatten. Anders ausgedrückt: Man hatte die Menschen regelrecht geschlachtet.
Einige der nackten Männer auf den Fotos trugen Handfesseln ähnlich denen von Tracy Edwards. Ein Foto zeigte Konerak Sinthasomphone, einen 14jährigen Jungen. Außer diesem Bild war von ihm nur noch der nackte Schädelknochen übriggeblieben. Damals ahnte noch niemand, wie sein Tod die Polizei und die Stadt einmal blamieren würde: Es stellte sich nämlich schon bald heraus, daß Polizeibeamte, die den Jungen nackt und völlig benommen auf der Straße aufgelesen hatten, Dahmer gestattet hatten, ihn in seine Mordhöhle zurückzubringen. Damals ahnte auch niemand, daß es Koneraks Bruder war, der von Dahmer zuvor sexuell belästigt worden war.
Bei der Durchsuchung des Appartements stießen die Polizisten auch auf eine elektrische Kettensäge, Flaschen mit Äthylalkohol, Chloroform, Formaldehyd, Salzsäure und einen Behälter mit Lysol-Sprühdesinfektion. (…)
Dahmer mußte verhört, jede seiner Angaben überprüft werden. Dann galt es vor allem, die Toten zu identifizieren, ihre Familien zu benachrichtigen, physische Beweisstücke mußten erfaßt, verzeichnet und bearbeitet werden. Die Ermittler suchten nach Zeugen und Leuten, die Dahmer gekannt hatten, um Hinweise auf das Geschehen zu bekommen.
Den von der Polizei aufgezeichneten Angaben zufolge hatte Dahmer siebzehn Menschen umgebracht – alles männliche, alles Fremde -, angefangen mit einem Anhalter in Ohio, nur zwei Wochen nach seinem Schulabschluß vor dreizehn Jahren an der High-School. Die Polizei stellte in seiner Wohnung Überreste von insgesamt elf Leichen sicher.
Dahmer gab an, die Opfer mit Geldversprechungen in die Wohnung gelockt zu haben, wo sie für Fotoaufnahmen Modell sitzen, Pornofilme mit ihm ansehen oder Sex mit ihm treiben sollten. Dann habe er ihnen Drinks angeboten, die mit Schlafmitteln versetzt waren, sie stranguliert und anschließend zerstückelt, wobei ihm die Badewanne als eine Art Schlachttrog gedient habe. Einige Körperteile habe er durch die daneben stehende Toilette gespült, weiteres Fleisch wurde in dem 200-Liter-Säurefaß aufgelöst. Manchmal – so sagte er – hatte er mit seinen Opfern noch sexuellen Verkehr, bevor er sie umbrachte. Dahmer gestand, an vier Leichen sexuellen Mißbrauch begangen zu haben. (…)
Dahmer wäre niemals solange unerkannt geblieben, wenn er sich wie ein tobender Wahnsinniger gebärdet hätte. Er war 1.83 m groß, wog 84 kg und war von mittlerer Statur, mit rötlichen Haaren und braunen Augen. Sein harmloser Charme mochte Edwards veranlaßt haben, ihm in die Wohnung zu folgen. Doch dann mußte sicher eine Menge erklärt werden, was den Gestank anbelangte. Dahmer sagte, es läge am Abfluß und so kam Edwards – trotz des bizarren Geruchs – mit.
Dann sollte ein Alptraum Wirklichkeit werden oder, wie Edwards es bezeichnete, „ein vierstündiges Gastspiel in der Hölle“. Edwards nippte an seinem Bier und fühlte sich plötzlich etwas taumelig. Er wollte aufspringen und wieder gehen.
Aber während der 1.80 große und rund 73 kg wiegende Edwards unruhig wurde, verwandelte sich Dahmer urplötzlich in eine andere Person: Die tiefliegenden Augen weiteten sich, sein Durchschnittsgesicht strahlte plötzlich Kraft aus; die Stimme nahm einen eiskalten Befehlston an. (…)
Am 18. Juni 1978 hatte Dahmers entsetzliche Mordserie begonnen. Damals trampte Stephen Mark Hicks von seiner Wohnung in Coventry, Ohio, zu einem Rockkonzert im nur 50 Kilometer entfernten Chippewa Lake Park. Hicks akzeptierte Dahmers Angebot, auf ein, zwei Bier mitzugehen, und so verbrachten die beiden einige Zeit, bevor Hicks unruhig wurde und sich zum Gehen anschickte.
Die Gesellschaft eines Bekannten zu verlieren, auch wenn er diesen gerade erst kennengelernt hatte, war für Dahmer unerträglich. Er fühlte sich von seinen Eltern im Stich gelassen, und er würde es nicht zulassen, daß ihn noch irgend jemand verließ.
In einem Anfall mörderischer Wut griff er nach einer Hantel und schlug Hicks damit auf den Kopf, anschließend begann er ihn mit der Hantelstange zu würgen. Das Todeskeuchen und der rasende Puls, den erst der Tod zum Stillstand brachte, hinterließen einen bleibenden Eindruck: Dahmer hatte eine Mordmethode entdeckt, die er noch sechzehnmal wiederholen sollte.
In der von den Polizisten in seiner Gefängniszelle niedergeschriebenen Aussage gab Dahmer später an: „Der Bursche wollte gehen und ich wollte nicht, daß er ging.“ Wegen des schlichten Wunsches, nach Hause zu gehen, hatte Stephen Hicks also sterben müssen.
Dahmer zog die Leiche zum Eingang des Kriechkellers, eines umschlossenen Hohlraumes zwischen dem Fundament aus Zementblöcken und dem Muttergestein, auf dem das Haus der Dahmers errichtet worden war. Er benutzte ein Küchenmesser, um Hicks im Keller zu zerteilen, wobei er die Leichenteile in große Plastiktüten stopfte, brachte die Beutel ins Auto und nahm sich vor, diese in verlassener Gegend wegzuwerfen. Im letzten Augenblick beschloß er jedoch, Hicks im Hinterhof neben einem Entwässerungsrohr zu vergraben. Das Graben in der steinigen, zerklüfteten Erde war harte Arbeit, und es gelang ihm nur, eine flache Grube auszuheben.
Weil er fürchtete, daß das Grab entdeckt werden konnte, löste er während der nächsten zwei Wochen nach und nach die Haut, Muskeln und das Gewebe seines Opfers ab. Dann nahm er einen Vorschlaghammer und schlug auf den Schädel, das Rückgrat, die Rippen, Arm- und Beinknochen ein. Er zerschmetterte den Körper in Hunderte von Einzelteilen, keines davon mehr als handtellergroß.
Als er damit fertig war, sammelte er die Bruchstücke und trug sie wieder nach draußen. Sich im Kreise drehend, verstreute er sie so, daß sie von der Erde aufgenommen wurden. Das Messer, mit dem er Hicks zerstückelt hatte, ließ Dahmer von einer Brücke der Bath Road in den Cuyahoga-Fluß fallen. Er warf auch Hicks‘ Halskette weg und verbrannte seine Brieftasche.
Was war Jeffrey Dahmer für ein Mensch? Der älteste von zwei Söhnen aus einer gescheiterten Ehe wuchs in einem gut- bürgerlichen Vorort von Akron, Ohio, auf. 1982 zog er nach Milwaukee, wo er zunächst bei der Großmutter im Vorort West Allis lebte, bevor er sich eine eigene Wohnung in der Innenstadt mietete.
Eine Woche vor seiner Verhaftung verlor Dahmer seinen Arbeitsplatz. Es war nicht das erste Mal, daß er auf der Verliererseite des Lebens stand: Nach nur einem Semester hatte er das Studium an der Ohio State University 1978 aufgegeben. 1981 war er wegen übermäßigen Alkoholkonsums vorzeitig aus der Armee entlassen worden.
Bis er am 15. Juli wegen extrem häufiger Abwesenheit gefeuert wurde, arbeitete Dahmer sechseinhalb Jahre in der als „Friedhofsschicht“ bezeichneten Nachtschicht der Ambrosia Chocolate Co. Als Hilfsarbeiter verdiente er dort 8.25 Dollar die Stunde. Als einer von 380 Mitarbeitern gehörte er zu den Mischern in der Produktionsabteilung dieser beinahe 100 Jahre alten Firma, die süßes braunes Konfekt herstellte, welches dann von anderen Süßwarenherstellern zu Candy- und Schokoriegeln verarbeitet wurde. Der süße Duft des Kakaos, der aus der Schokoladenfabrik drang, stand in krassem Gegensatz zu dem Verwesungsgestank in seiner Wohnung. (…)
Damals konnte es noch niemand wissen, aber später würde er gestehen, schon vor dieser Verurteilung fünf Morde begangen zu haben. Nachdem er im März 1990 auf Bewährung entlassen worden war, nahm er seine grausige Gewohnheit sofort wieder auf.
Die Bewährungshelfer informierten sich auch über seine Eltern. Joyce Flint aus Chippewa Falls, Wisconsin, hatte Lionel Dahmer – einen Chemiestudenten an der Marquette University – am 22. August 1959 in Milwaukee, West Allis, geheiratet. Zehn Monate später, am 21. Mai 1960, wurde Jeffrey Dahmer in Milwaukee geboren.
Es sollte eine von Sorgen geplagte Familie werden. 1961 erwarb Lionel den ersten akademischen Grad, 1962, in Marquette, den Magistergrad. Dann zog er mit seiner Familie um, er wollte an der Iowa State University in Chemie promovieren. 1966 ließ sich die Familie im Nordosten von Ohio nieder, in den Vororten westlich von Akron und südlich von Cleveland. Hier verbrachte Jeffrey seine Schulzeit, hier entwickelte er seine Vorliebe für Alkohol, hier erlebte er den Zank und Streit seiner Eltern mit, und hier erhielt er seinen ersten Chemie-Experimentierkasten, den er an dem Fleisch von Tieren ausprobierte. Hier erlebte er sein Abschlußjahr der High-School, nahm am Schülerball teil, graduierte, und, wie er selbst sage, hier brachte er erstmals einen Mann um.
Als Lionel 1966 eine Anstellung bei PPG Industries in Barberton bekam, war das für den jungen Dahmer ein großes Jahr. Er zog in ein neues Haus ein, besuchte die erste Klasse der Hazel-Harvey-Grundschule und bekam ein Brüderchen David, das am 18. Dezember geboren wurde. Es gab Hinweise, daß Joyce Dahmers zweite Schwangerschaft schwierig verlaufen sein soll. Ein Lehrer notierte in einem Bericht über die erste Klasse, daß sich der sechsjährige Jeffrey Dahmer in dieser Zeit von seiner kränklichen Mutter „vernachlässigt“ fühlte. Eine unheilvolle Saat war gelegt worden.
Jeffrey schloß die erste Klasse in der Hazel-Harvey-Grundschule nicht ab. Die Familie zog um, und er wurde einen Monat vor den Sommerferien an einer anderen Schule angemeldet. Ein Jahr später zog die Familie nochmals um, diesmal in ein Haus im Rancherstil in Bath Township, einer gutbürgerlichen Vorstadt. (…)
In einem der schaurigsten Prozesse der amerikanischen Rechtsprechung ist Jeffrey Dahmer für zurechnungsfähig und damit für schuldig erklärt worden. Nach fünfstündigen Beratungen gab die Jury in Milwaukee am 7. Februar 1992 – einem Samstag – ihren Spruch bekannt. Der 31jährige Dahmer hatte die Tötung und grausame Verstümmelung von siebzehn jungen Männern gestanden und nahm das Urteil mit versteinertem Gesichtsausdruck entgegen.
Das endgültige Urteil der Jury erging am 15. Februar 1992 und lautete auf „schuldig des Mordes in wenigstens 15 Fällen“ (…), weshalb Dahmer zu einer „lebenslänglichen Haftstrafe“ verurteilt wurde, die er in der Columbia Correctional Institution von Portage, Wisconsin, absitzen sollte.
Doch im August 1994 wurde er von Mithäftlingen in der Gefängniskapelle mit einer Rasierklinge angegriffen, was er mit viel Glück überlebte. Am 28. November 1994 wurde er beim Putzen der Gefängnistoiletten ein zweites Mal attackiert und diesmal mit einer Hantel erschlagen. Jeffrey Dahmers Hirn wurde der Wissenschaft zur Verfügung gestellt. Leseprobe aus Totmacher 5 von Gerd Frank.