Gerd Frank: Massenmord ohne Leichen – Der Fall des Frauenmörders und Blaubarts HENRI LANDRU (Frankreich, 1914-1919)

Kurz nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Name eines französischen Serienmörders international bekannt, der zehn Frauen und einen jungen Mann umgebracht hatte: Henri Désiré Landru. Während des umfangreichen Ermittlungsverfahrens wurde festgestellt, daß dieser Mann zu nicht weniger als 283 Frauen Beziehungen unterhalten hatte, von denen alle bis auf die zehn Verschwundenen ausfindig gemacht und über ihre Erlebnisse verhört werden konnten. …

landru_003

Leseprobe:

Mit Heiratsschwindel machte er sich an begüterte Frauen heran. Das erste Opfer lockte Landru im Februar 1914 durch folgende kleine Anzeige an: „Seriöser Herr wünscht sich mit Witwe oder unverstandener Frau, 35 bis 45 Jahre alt, zu verheiraten.“ Zahlreiche Offerten liefen ein und Landru griff diejenige der 34jährigen Witwe Georgette Cuchet spontan heraus. Die Frau wohnte in Paris, war Witwe und Mutter eines Sohnes, verdiente sich ihr Brot als Wäschereiarbeiterin und besaß einige Ersparnisse. Sie war ziemlich hübsch, lebensfroh, anschmiegsam und von dem Wunsch erfüllt, sich bald wieder verheiraten zu können.
Bei dem Rendezvous im Jardin du Luxembourg, das brieflich vereinbart worden war, stellte sich Landru ihr als Monsieur Diard, von Beruf Postinspektor, vor. Er war von ausgesuchter Liebenswürdigkeit zu der jungen Frau und ließ schon bald durchblicken, daß sie ihm gefalle. Bei einer Tasse Kaffee gestand sie ihm, daß sie einen Sohn von 17 Jahren habe und Landru entgegnete, daß dies für ihn keinen Hinderungsgrund darstelle. Man vereinbarte, sich am nächsten Tage gleich wieder zu treffen. …
Bald trafen die beiden täglich zusammen. Landru, beschäftigungslos, hatte ja ohnehin nichts anderes zu tun. Georgette Cuchet gab ihren Angehörigen und Freunden zu verstehen, daß sie sich demnächst wieder verheiraten werde, und diese äußerten den Wunsch, ihren neuen Bekannten kennenzulernen. Der Eindruck, den Landru auf diese Leute machte, war schlecht, und sie machten Georgette gegenüber kein Hehl daraus. Die aber war längst nicht mehr fähig, die Dinge klar und nüchtern zu betrachten. Als sie auf Heirat drängte, erklärte er, er habe als Flüchtling aus dem Norden leider einen Teil seiner Papiere eingebüßt und müsse nun erst für Ersatz sorgen. Sie nahm diese Ausrede arglos hin, auch als der Termin von ihm immer und immer wieder hinausgeschoben wurde. In der Zwischenzeit ließ er sich einen Vorschuß auf das Glück gewähren, das sie ihm für die Zeit nach der Heirat versprochen hatte. Sie war nicht abweisend und gewährte ihm reichlich, was er begehrte. …
Während Landru einmal in Paris war, machte Georgette eines Tages in La Chaussée eine aufregende Entdeckung. Ihr war aufgefallen, daß ihr Liebhaber ständig einen kleinen, schwarzen Koffer mit sich führte. Da dessen Inhalt sie neugierig gemacht hatte, versuchte sie ihn zu öffnen, was ihr mit einem Nachschlüssel auch gelang. Da entdeckte sie darin zu ihrem nicht geringen Erstaunen die Personalpapiere ihres Freundes, aus denen sich ergab, daß er nicht Diard, sondern Landru hieß, verheiratet war und Kinder hatte. Diese Feststellungen versetzten sie in helle Aufregung und sie machte ihm abends gleich eine heftige Szene. Doch Landru ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Vollkommen richtig“, erwiderte er, „ich bin verheiratet und habe Kinder… Ich bin aber dabei, mich scheiden zu lassen, und das ist auch der Grund, weshalb ich dir meinen wahren Namen verschwiegen habe.“
Es dauerte nicht lange, da hatte er Georgette völlig beruhigt. …

Ende Januar 1915 verlieren sich die Spuren von Madame Cuchet und ihrem Sohn im Dunkel. Während des Monats Januar fuhr der junge Cuchet noch zweimal nach Paris, um in der alten Wohnung Besorgungen zu erledigen. Seitdem wurde er nicht mehr gesehen. Seine Mutter richtete am 27. Januar an einen ihrer Onkel einen Brief und gratulierte ihm darin zu einer militärischen Auszeichnung. Das war das letzte Lebenszeichen, das sie von sich gab. Nach Lage der Dinge muß angenommen werden, daß Landru die Frau und ihren Sohn in Vernouillet umgebracht hat.

Als er wie üblich die kleinen Anzeigen einer großen Pariser Tageszeitung daraufhin durchsah, ob sich darunter etwas Passendes fände, stieß er auf eine Frau namens Thérèse Laborde-Line, aus Südamerika gebürtig, 46 Jahre alt, Witwe eines Hoteliers und Mutter eines erwachsenen Sohnes, die eine Beschäftigung suchte. Landru begab sich auf diese Anzeige hin sofort in ihre Wohnung und bot ihr eine Stelle bei sich an. Sehr schnell erkannte er, daß das Mobiliar der Frau einen gewissen Wert repräsentierte. Landru brachte außerdem heraus, daß Frau Laborde-Line Ersparnisse besaß, die in Schuldverschreibungen angelegt waren. Es lohnte sich also, sich mit ihr zu beschäftigen. Sorgsam vermerkte er in seinem Notizbuch: „4 Uhr, rue de Patay, Raoul, 1. Stock, rechts.“
Schon am ersten Abend kam er seinem Ziele ein wesentliches Stück näher.
Anderntags erzählte sie glückstrahlend ihren Freunden und Bekannten von ihren Heiratsplänen. Sie habe schon nach Argentinien geschrieben und ihre Personalpapiere angefordert. Landru holte sie tags darauf in seinem Wagen ab, um ihr sein Haus in Vernouillet zu zeiggen. …
Am Bahnhof in Paris erstand Landru zwei Fahrkarten, eine Rückfahrkarte für sich und eine einfache Fahrkarte für seine Begleiterin. Am Abend schrieb er in sein Notizbuch: „Eine Rückfahrkarte 4.95 / Eine einfache Fahrkarte 3.95“. Nach dem 26. Juni 1915 hat nie wieder jemand etwas von Madame Laborde-Line gehört. …

In seinen Notizen wurde er jetzt etwas vorsichtiger und bezeichnete seine Opfer nicht mehr mit ihrem Namen oder ihrer Adresse, sondern mit einem Tarnwort. So verwendete er z.B. für Madame Laborde-Line die Bezeichnung „Brasilien“, obwohl sie aus Argentinien stammte.
Das dritte Opfer, Thérèse Laborde-Line, war allerdings noch am Leben, als Landru schon einen neuen Fall in Angriff nahm. In einer Pariser Zeitung ließ er folgende Heiratsanzeige erscheinen: „Herr, 45 Jahre, alleinstehend, ohne Familie, Situation 4000, wünscht sich eine Frau. Dame. Alter, Situation entsprechend.“ Wieder erhielt er eine Menge Angebote und entschied sich schließlich für Madame Guillin. Sie wohnte in Paris, war verwitwet und hatte eine verheiratete Tochter. Sie war 51 Jahre alt, ziemlich korpulent, trug eine Perücke und hatte falsche Zähne. Es war ihr lebhafter Wunsch, wieder eine Ehe einzugehen. …
In gleicher Weise verfuhr er mit Madame Héon, seinem fünften Opfer, einer Frau, die aus Le Havre gebürtig war und in einem kleinen Ort in der Provinz wohnte. Nach diesem Verbrechen gab Landru seine Villa in Vernouillet auf und suchte sich ein neues Objekt in dem etwa 40 Kilometer entfernten Gambais. Dies war ein kleiner, weit auseinandergezogener Marktflecken, weitab von allem Verkehr. Es gab dort eine alte Festung, ein großes Schloß und einen schönen, alten Park. Ganz in der Nähe begannen die Forste von Rambouillet. Landrus Villa war von einem Eisengitter umgeben, vor dem Spindel- und Fliederbäume standen. Hinter dem Haus befand sich ein großer Garten mit Obstbäumen. Das Gebäude selbst hatte im Erdgeschoß vier kleine Räume, im 1. Stock eine große und eine kleine Kammer.
Dem Eigentümer hatte sich Landru schriftlich unter dem Namen Dupont vorgestellt, auch hatte er sich als Ingenieur ausgegeben. Seine Miete bezahlte er regelmäßig, ließ sich aber bei dem Eigentümer niemals persönlich sehen. Wie er in der Hauptverhandlung darlegte, gab er auch hier einen falschen Namen an, weil er auf Grund seiner Verurteilung im Jahre 1914 noch immer steckbrieflich gesucht wurde. Nach dem Mord an Berthe Anna Héon hielt sich Landru bis zum Dezember 1916 zurück, dann schlug er erneut zu.
Madame Anna Collomb, die 39 Jahre alte Witwe eines Vertreters in Seidenwaren, eine noch jugendlich aussehende, lebenslustige, elegante Erscheinung, die als Stenotypistin bei einer Versicherungsgesellschaft tätig war und Ersparnisse von etwa 8000 Francs besaß; Mademoiselle Babelay, ausnahmsweise einmal eine kleine und übrigens mittellose Hausangestellte von 19 Jahren, die Landru im Januar 1917 in der Untergrundbahn kennengelernt hatte, ein Mädchen, das hübsch und nicht unintelligent war und Madame Buisson, eine hübsche, gepflegte, liebenswürdige und noch jugendlich aussehende 46 Jahre alte Witwe, die zudem noch eine tüchtige Hausfrau war, waren seine nächsten Opfer. Landru hatte sich den Frauen gegenüber entweder als Monsieur Cuchet oder als Monsieur Frémyet ausgegeben; im übrigen verfuhr er mit ihnen nach inzwischen bereits bewährter Manier. …

Landru wurde am 25. Februar 1922 in Versailles mit der Guillotine hingerichtet. Der vollständige Beitrag erscheint Ende 2014 in dem Band „Totmacher 2 – Massenmord ohne Leichen“ von Gerd Frank.